Erdogan kämpft um seine Macht

von Redaktion

Unerbittliche Verhaftungs-Welle gegen CHP – Türkischer Präsident will Opposition kontrollieren

Harte Hand gegen die Opposition: Präsident Erdogan. © afp

München – Der Mann auf der Bühne klingt heiser, wirkt müde. Trotzdem reckt er immer wieder seine Faust in die Luft und ruft: „Widerstand, Widerstand, Widerstand.“ Tausende Menschen auf dem Tandogan-Platz in der türkischen Hauptstadt Ankara jubeln ihm zu, schwenken rot-weiße Türkei-Fahnen. „Diese Regierung will keine Demokratie“, hallt es von der Bühne.

Als Özgür Özel am Sonntag zu den Anhängern der größten Oppositionspartei CHP spricht, weiß der Partei-Chef noch nicht, dass das Verfahren gegen ihn verschoben wird. Am Montag erklärt das Gericht, weitere Dokumente angefordert zu haben, um Özels Amtsenthebung wegen angeblichen Stimmenkaufs voranzutreiben. Die Entscheidung ist auf 24. Oktober vertagt.

Doch: „Die Eskalation wurde vorerst verschoben– aber keineswegs abgewendet“, sagt Hürcan Aslı Aksoy, Leiterin des Centrums für angewandte Türkeistudien (CATS) in Berlin unserer Zeitung. „Die juristische Auseinandersetzung um die Parteiführung“, erklärt Aksoy, „bleibt ein politisches Damoklesschwert über der CHP – und ist Teil einer größeren Strategie, die oppositionelle Handlungsfähigkeit systematisch zu unterminieren.“

Seit die CHP aus der Kommunalwahl 2024 als Sieger herausgegangen ist, geht Präsident Recep Tayyip Erdogan massiv gegen oppositionelle Lokalpolitiker vor. Die türkische Justiz steht schon seit Jahren in der Kritik, im Interesse von Erdogans islamisch-konservativen Partei AKP zu handeln. Das prominenteste Beispiel ist die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu. Ohne Anklageschrift, ohne Beweise sitzt der Erdogan-Rivale seit März 2025 im Gefängnis. Der Vorwurf: Korruption.

Ein Vorwand, unter dem in den vergangenen Monaten zahlreiche Oppositionelle verhaftet worden sind. Anfang Juli wurden bei einem Großeinsatz in der Stadtverwaltung der CHP-Hochburg Izmir 126 Menschen festgenommen. Ende Juli werden in der Istanbuler Stadtverwaltung 20 Mitarbeiter verhaftet, Mitte August 44. Letztes Wochenende wurden 48 Lokalpolitiker des Istanbuler Stadtteils Bayrampasa festgesetzt. Insgesamt befinden sich laut Aksoy neben Imamoglu mittlerweile elf Bezirksbürgermeister aus Istanbul sowie sechs weitere aus anderen Städten in Haft.

Laut Türkei-Expertin Aksoy geht es Erdogan aber „nicht darum, Opposition vollständig auszuschalten, sondern sie so zu formen, dass sie kontrollierbar und systemkonform wird“. Konkret strebe die Regierung ein System an, in dem die Opposition zwar formal existiere, aber so geschwächt sei, dass sie praktisch wirkungslos ist. „Das würde die letzte verbliebene Bastion des demokratischen Prozesses – den politischen Wettbewerb – vollständig entwerten“, erklärt Aksoy. LEONIE HUDELMAIER

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