ESC-Boykott gegen Israel?

von Redaktion

Der schöne Schein trügt: Die israelische Sängerin Yuval Raphael stand beim ESC in Basel unter Druck. © Schneider/Keystone/dpa

München – Vielleicht ist es Zufall, aber ein vielsagender. Just am Tag, nachdem Pro-Palästina-Demonstranten die letzte Etappe der Spanien-Rundfahrt Vuelta bis zum vorzeitigen Abbruch blockierten, meldet sich Kulturminister Ernest Urtasun zu Wort. Es geht um ein anderes Groß-Event, den Eurovision Song Contest, und die Frage, ob Israel daran teilnehmen sollte. Urtasun klingt unerbittlich. Das dürfe nicht passieren, sagt er. „Wenn es uns nicht gelingt, Israel auszuschließen, sollte Spanien nicht teilnehmen.“

Es kriselt schon lange zwischen Israel und Spanien, dessen Regierung den Gazakrieg so beharrlich und scharf verurteilt wie wenig andere in Europa. Seit Wochen überziehen sich beide Länder mit Einreiseverboten und Sanktionen. Das diplomatische Hickhack gipfelte jüngst in dem Vorwurf aus Jerusalem, Spaniens Premier Pedro Sánchez habe Israel mit Genozid gedroht. Der hatte sich zu der drastischen Aussage verstiegen, sein Land habe keine Atombomben, werde aber weiter versuchen, Israels Gaza-Offensive zu stoppen.

Ein Vehikel dafür ist nun also ausgerechnet der ESC, der sich auch als kulturelle Verständigungsplattform begreift. Der öffentlich-rechtliche Sender RTVE bekräftigte die Boykott-Drohung gestern. Spanien ist damit zwar nicht das erste Land – auch Irland, die Niederlande, Island und Slowenien machen ihre ESC-Teilnahme von der Israel-Frage abhängig –, aber das bisher wichtigste. Es gehört zu den größten Geldgebern der Europäischen Rundfunkunion (EBU), die letztlich über eine Teilnahme Israels am Wettbewerb in Wien entscheidet.

Dass der ESC auch ein Spiegel politischer Stimmungen sein kann, ist nicht neu. Aber so hitzig wie in den vergangenen zwei Jahren ging es selten zu. Im Mai 2024, also gut ein halbes Jahr nach dem bestialischen Überfall der Hamas, wurde die israelische Sängerin Eden Golan in Malmö mit Protesten und Buhrufen empfangen. Yuval Raphael, die als Überlebende des Hamas-Massakers in diesem Frühjahr für Israel in Basel startete, hatte es kaum leichter. Jeweils schrillten Boykott-Forderungen gegen Israel durch Europa. Selbst der diesjährige Sieger, der Österreicher JJ, nannte es „sehr enttäuschend, dass Israel noch am Wettbewerb teilnimmt“.

Tatsächlich läuft unter Europas Rundfunkanstalten derzeit eine Debatte über einen möglichen Ausschluss Israels. Die EBU fragt dabei offenbar die nationalen Positionen ab – eine Entscheidung, heißt es, werde aber erst Mitte Dezember fallen. Angeblich sollen sich die Sender bis kurz nach der Abstimmung vom ESC zurückziehen können, ohne Strafen zahlen zu müssen. Berichten zufolge soll ihnen das den Entscheidungsdruck nehmen – und einen Imageschaden für den ESC verhindern.

Unter dem Eindruck des Gazakrieges preschen trotzdem einzelne vor. Der niederländische Sender Avotros erklärte seine Boykottbereitschaft unter anderem mit dem „anhaltenden und schwerwiegenden menschlichen Leid“ in Gaza. Außerdem habe Israel den diesjährigen ESC als „politisches Instrument“ genutzt, was dem „apolitischen Wesen“ des Wettbewerbs widerspreche.

Für den ESC ist die fortschreitende Politisierung eine echte Belastungsprobe, ab und an ist zu spüren, dass die Nerven blank liegen. Als das israelische Portal „ynet“ jüngst berichtete, die Rundfunkunion habe dem israelischen Sender Kan inoffiziell zwei Friedens-Vorschläge gemacht – ein Jahr Aussetzen oder Auftritt mit neutraler Flagge –, dementierte die EBU hastig. Nichts dergleichen habe man getan, hieß es. Kan ließ übrigens erst gestern wissen, man denke nicht an einen freiwilligen Rückzug.

Der deutsche SWR, der seit Kurzem federführend für den Song Contest zuständig ist, drückt sich um eine klare Positionierung. Man unterstütze den „eingeleiteten Konsultationsprozess und die Entscheidungen der EBU“, lässt der Sender auf Anfrage unserer Zeitung wissen. Ziel sei, „eine fundierte, nachhaltige Einigung zu finden, die mit den Werten der EBU im Einklang steht“.

Selbst wenn im Dezember die Entscheidung fallen sollte, Israel zu suspendieren, ist kaum anzunehmen, dass daraus politischer Druck auf Jerusalem erwächst. Das scheint aber auch gar nicht das Ziel zu sein, jedenfalls nicht aus spanischer Sicht. Premier Sánchez sagte schon vor Monaten, man dürfe „keine doppelten Standards in der Kultur zulassen“. Als Russland nach der Invasion in die Ukraine vom ESC ausgeschlossen worden sei, habe sich ja auch niemand aufgeregt. „Dasselbe sollte auch für Israel gelten.“

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