Massenflucht: Vertriebene Palästinenser versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. © Hana/dpa
Stadt in Trümmern: Begleitet von schwerem Bombardement hat Israel seine Angriffe intensiviert. © Kahana/AFP
Gaza/Tel Aviv – Das israelische Militär hat mit tausenden Soldaten seine geplante Bodenoffensive in der Stadt Gaza begonnen, obwohl sich dort noch hunderttausende Zivilisten aufhalten. Nach Anweisung der politischen Spitze hätten Truppen „den Bodeneinsatz in die Hamas-Hochburg ausgeweitet, in die Stadt Gaza“, sagte ein Militärsprecher. Es handle sich um ein „schrittweises Manöver“, an dem Luft- und Bodenstreitkräfte beteiligt seien.
Ziel sei es, die Hamas-Kräfte in diesem Gebiet auszuschalten. Israel gehe davon aus, dass sich dort bis zu 3000 kampfbereite Mitglieder der islamistischen Terrororganisation aufhielten. Unter der Stadt befinde sich ein ausgedehntes Tunnelnetzwerk der Hamas. Die israelischen Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Man werde alles unternehmen, um die Sicherheit der 48 verbliebenen Geiseln und der Zivilisten zu gewährleisten, sagte der Militärsprecher weiter. Rund 40 Prozent der Zivilbevölkerung – mehr als 350 000 Menschen – haben die Stadt nach Angaben beider Seiten verlassen. Das heißt im Umkehrschluss, dass sich in der von Israel zur Kampfzone erklärten Stadt noch hunderttausende Palästinenser befinden.
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach vom Beginn eines intensiven Einsatzes in der Stadt Gaza. Verteidigungsminister Israel Katz schrieb am Morgen: „Gaza brennt.“ Die Soldaten kämpften, „um die Voraussetzungen für die Freilassung der Geiseln und die Niederlage der Hamas zu schaffen“. Man werde „nicht nachlassen und nicht zurückweichen – bis die Mission abgeschlossen ist“. Manche Experten erwarten, dass sie sich über Monate hinziehen könnte.
Israelische Truppen seien schon seit Wochen in den Außenbezirken der Stadt Gaza im Einsatz, sagte der Sprecher. Seit Montagabend bewegten sie sich zudem langsam in Richtung des Stadtzentrums. Es seien zwei Divisionen beteiligt, reguläre und Reservetruppen. In den kommenden Tagen sollten weitere Divisionen zum Einsatz kommen. Eine Division besteht in der Regel aus 10 000 bis 15 000 Soldatinnen und Soldaten. Man stelle sich auf einen „komplexen Häuserkampf“ in der Stadt Gaza mit „vielen Herausforderungen“ ein.
Die Armee hatte die Menschen in der Stadt vor Beginn der Offensive dazu aufgerufen, sich in eine sogenannte humanitäre Zone im Süden des Küstenstreifens zu begeben. In der Zone gebe es mehr Nahrungsmittel, Wasser, Medikamente und Unterkünfte, so die Darstellung des Militärs. Internationale Hilfsorganisationen haben immer wieder vor einer Verschärfung der schlimmen humanitären Lage im Gazastreifen gewarnt.
Das Forum der Angehörigen der Geiseln äußerte große Besorgnis. Nach 710 Nächten in der Gewalt von Terroristen „könnte heute Nacht die letzte Nacht für die Geiseln sein“, hieß es in einer Erklärung des Forums in der Nacht auf Dienstag. Netanjahu entscheide sich bewusst dafür, „sie aus politischen Erwägungen zu opfern“. Er ignoriere dabei die Einschätzungen des Generalstabschefs und der Sicherheitsbehörden.
Mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi bezeichnete erstmals seit Jahrzehnten ein Staatsoberhaupt des Landes Israel wieder öffentlich als „Feind“. Das bestätigte der Vorsitzende des Staatsinformationsdiensts SIS, Diaa Raschwan. In einer Rede am Montag beim arabisch-islamischen Gipfeltreffen in Katar hatte al-Sisi betont: „Der Feind“ (gemeint ist Israel) müsse erkennen, dass die Länder der Region in ihrer Position gegenüber Israel geeint seien und nicht zersplittert. Es sei das erste Mal seit 1977, dass ein ägyptisches Staatsoberhaupt Israel in dieser Weise bezeichnet, erklärte Raschwan.
Von den Vereinten Nationen bestellte Menschenrechtler warfen Israel am Dienstag auch vor, Genozid, also Völkermord, zu begehen. Die Kriegsführung Israels gegen die Hamas ziele auf die Auslöschung der Palästinenser ab.