Merz‘ heikler Spanien-Trip

von Redaktion

Nicht in allen Fragen einig: Spaniens Premierminister Pedro Sanchez (re.) begrüßt Kanzler Friedrich Merz am Moncloa-Palast in Madrid. © Thomas Coex/AFP

München – Es konnte ihm gar nicht schnell genug gehen. Friedrich Merz hatte gerade die erste Nacht als Kanzler hinter sich, da zog es ihn schon ins Ausland: erst nach Paris, dann nach Warschau, beides an einem Tag. Der Doppelbesuch sollte das Dreierbündnis im Herzen Europas wiederbeleben und ein starkes Symbol der Wertschätzung sein. Die Botschaft kam an, sicher auch in Spanien, nur anders: Mit seinem Antrittsbesuch dort ließ sich der Bundeskanzler jedenfalls auffällig viel Zeit.

In Madrid soll das zu Grummeln geführt haben. Merz‘ gestrige Reise, gut vier Monate nach Amtsantritt, war aber aus anderen Gründen brisant. So gut es insgesamt läuft zwischen Deutschland und Spanien – bei zwei Themen liegen die EU-Länder doch deutlich auseinander. Da ist einmal das neue Fünf-Prozent-Ziel der Nato, an das Spanien sich nicht halten will. Und da ist vor allem der Krieg in Gaza.

Während der Kanzler Kritik an der Regierung in Jerusalem zwar nicht scheut, aber dosiert, wirkt Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez dieser Tage wie ein Widerstandskämpfer. Seine Regierung hat ein Waffenembargo gegen Israel und Einreiseverbote gegen Minister verhängt. Sánchez drängt auf den Ausschluss Israels von Sport- und Kulturveranstaltungen wie dem Eurovision Song Contest. Immer wieder spricht er vom Genozid in Gaza, zeigt Sympathien für Straßenproteste wie jene, die gerade zum Abbruch der letzten Etappe der Spanien-Rundfahrt Vuelta führten. Jüngst verstieg sich der Sozialist zu dem Satz, Spanien habe zwar keine Atomwaffen und könne Israels Offensive nicht alleine stoppen. „Das bedeutet aber nicht, dass wir aufhören, es zu versuchen.“

Aus Berliner Perspektive wirkt der geballte Furor irritierend, in Spaniens Gesellschaft eher nicht. Umfragen zeigen, dass eine breite Mehrheit von links bis rechts den Genozid-Vorwurf gegen Israel teilt. Eine Rolle dabei mag spielen, dass die Nähe zu den Palästinensern traditionell größer ist als in anderen Ländern Europas. Schon 2014 stimmte das damals konservativ dominierte Parlament mit breiter Mehrheit für die (dann erst 2024 umgesetzte) Anerkennung eines Palästinenserstaats. Im Moment hängen vielerorts Palästina-Flaggen von Balkonen.

Manche leiten die Nähe auch aus Spaniens Geschichte her. Während der Franco-Diktatur orientierte sich das Land hin zum Maghreb und den arabischen Staaten – zum 1948 gegründeten Israel blieb das Regime auf Distanz. Wegen Francos Verbindungen zu Hitler-Deutschland galt das auch umgekehrt. Erst 1986, zehn Jahre nach dem Tod des Diktators, nahmen beide Länder diplomatische Beziehungen auf.

Die Trennlinie zur deutschen Regierung ist besonders markant. Zwar betont Merz bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Sanchez, dass man „das unermessliche Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen“ sehe, und das israelische Vorgehen für „unverhältnismäßig“ halte. Doch man teile mit Spanien nicht „die Beschreibung dieses Vorgehens als Völkermord“. Auch die Anerkennung eines Palästinenserstaates stehe derzeit „nicht zur Debatte“, sagt Merz.

Jenseits solcher Grundsatzfragen dürfte es im Gespräch zwischen Merz und Sánchez konkreter geworden sein. Tags zuvor hatte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Sanktionen vorgeschlagen, um die Regierung von Benjamin Netanjahu zum Kurswechsel in Gaza zu drängen. Bisher scheiterten solche Strafmaßnahmen vor allem am Widerstand Deutschlands. Zumindest aus Sicht der CSU wird sich daran nichts ändern. Er lehne die EU-Vorschläge ab, sagt Parteichef Markus Söder unserer Zeitung. Dass Merz die CSU jüngst bei seiner Waffenentscheidung überging, hat man ihm in München übel genommen. Ein zweites Mal dürfte sich die kleine Unionsschwester das nicht gefallen lassen. Merz gibt sich am Donnerstagabend zurückhaltend. Er gehe davon aus, dass man sich bis zum informellen Rat der EU-Staats- und Regierungschefs am 1. Oktober innerhalb des schwarz-roten Kabinetts auf eine gemeinsame Position einige.

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