Kulturkampf um die ARD

von Redaktion

Wie viel Meinungsvielfalt ist bei den Öffentlich-Rechtlichen erlaubt? Die Journalistin Julia Ruhs ist beim NDR nicht mehr erwünscht, beim BR schon. © Eisenkrätzer/dpa

München – Man mag es kaum glauben, aber diesmal sind selbst die Herren Söder und Günther einer Meinung. Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, den sie in der CSU genüsslich-böse „Genosse Günther“ schimpfen, reagierte überraschend klar auf die Entscheidung des NDR, nicht mehr mit der Moderatorin Julia Ruhs zusammenzuarbeiten. Ein „extrem schlechtes Signal“ sei das, sagte er, bevor Markus Söder hinterher rumpelte, konservative Stimmen gehörten zum Meinungsspektrum, „auch wenn das einigen Linken nicht gefällt“.

Die Debatte um die 31-jährige BR-Journalistin Ruhs und ihre Sendung „Klar“ sorgt im politisch rechten Spektrum seit Tagen für gewaltige Aufregung. Nicht nur die AfD schäumt routinemäßig, auch in der Union scheint der Fall etwas ausgelöst zu haben. Lange schon ärgert man sich dort über angeblich allzu linke Tendenzen in den Öffentlich-Rechtlichen. Dass der NDR mit Ruhs nun eine konservative Stimme absägt, gilt manchen als Beweis für ein empfundenes Unbehagen.

Richtig begründet hat der NDR seine Entscheidung bisher nicht. Was man aber weiß: Redaktion und Publikum reagierten sehr unterschiedlich auf das von BR und NDR gemeinsam produzierte Format „Klar“. Schon nach der ersten Sendung zum Thema Migration ging es intern rund. Der NDR selbst gab eine unabhängige Befragung in Auftrag – 63 Prozent der Zuschauer gaben der Sendung darin die Schulnote 1 oder 2, unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildung oder regionalen Unterschieden.

Im NDR selbst sah man es komplett anders. Schon bei der ersten Manöverkritik am 17. April im großen Kreis sei harsche Kritik geäußert worden, heißt es. Intern wird die Sitzung das „Gründonnerstags-Tribunal“ genannt. Während beim BR gerade die Regionalreporter mit viel Kontakt zu normalen Menschen den Daumen hoben, ließen die NDR-Mitarbeiter nicht locker und starteten eine Unterschriftenaktion gegen „Klar“ und vor allem Moderatorin Ruhs.

Damit hat sich der NDR dem Verdacht ausgesetzt, unliebsame Stimmen im Zweifel einfach abzusägen. Der Medienpsychologe Jo Groebel weist auf mögliche Folgen hin: „Das wirklich Blöde ist, dass auch bei Menschen, die aus guten Gründen eigentlich Verfechter des öffentlich-rechtlichen Systems sind, durch solche Aktionen der Verdacht entstehen kann, dass im System irgendetwas nicht stimmt“, sagte er unserer Zeitung. Das schade der Glaubwürdigkeit der Öffentlich-Rechtlichen. Ein strukturelles Problem, wie es etwa die AfD immer wieder behauptet, sieht Groebel zwar nicht. In manchen Sende-Formaten gebe es aber so etwas wie eine auffällige „nonverbale Kommentierung“, die sich darin äußere, dass etwa Unions-Politiker härter befragt würden.

Der Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen ist in Paragraf 26 des Medienstaatsvertrags festgelegt. Darin heißt es, man sei „zur Gewährleistung einer unabhängigen, sachlichen, wahrheitsgemäßen und umfassenden Information und Berichterstattung“ verpflichtet. Die Sender müssten auf „Objektivität und Unparteilichkeit achten“. Laut einer Studie der Uni Mainz nehmen sie aber in ihrer Berichterstattung „tendenziell eher sozial-liberale Positionen jenseits der politischen Mitte ein“, wie Mitautor Pablo Jost dem „Tagesspiegel“ sagte. Überraschend allerdings: Diese Tendenz betreffe nicht alle Politikbereiche. So stellten die Nachrichten-Formate das Thema Migration inzwischen überwiegend negativ dar. „Sie erscheint in der Berichterstattung als Gefahr.“

Der NDR hat inzwischen Ersatz gefunden: Die frühere „Bild“-Chefin Tanit Koch soll „Klar“ moderieren. Beim BR will man indes an Ruhs festhalten. Derzeit wird eine Redaktion aufgebaut – angesichts des Spardrucks auch eine Kostenfrage. Minimal zwei Folgen werden angestrebt. Der BR will die Sendung, bislang ein online-Format, dann ins lineare Fernsehen holen. Aktuell laufen Gespräche mit anderen Sendern über Kooperationen.

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