SPD-Chefin Bärbel Bas, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, bei einer Zollkontrolle im Duisburger Hafen. © Christoph Reichwein/dpa
Berlin/München – Es ist recht leicht, den Staat zu betrügen, die Anleitung steht x-fach im Internet. Menschen, häufig aus ärmeren EU-Ländern wie Rumänien und Bulgarien, werden nach Deutschland gebracht, in winzige Wohnungen in uralten Gammel-Immobilien gepfercht. Sie erhalten jeweils einen Schein-Arbeitsvertrag für wenige Stunden, Größenordnung 200 Euro Monatslohn. Und gehen dann aufs Amt und beantragen Sozialleistungen als Aufstocker, dazu Wohngeld. Beides müssen sie an die Banden abliefern, die sie ins Land gebracht haben.
Glaubt man Praktikern aus den Kommunen, passiert das massenhaft, der Staat merkt es nicht oder findet keine Handhabe dagegen. „Ich habe keine Lust, verarscht und beschissen zu werden. Das ist aber genau das, was da passiert“, schäumte neulich Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link, ein Genosse, und erreichte damit bundesweite Aufmerksamkeit. Auch das Ohr seiner Parteivorsitzenden hat er inzwischen, Bärbel Bas kommt aus der gleichen Stadt – und ist praktischerweise Bundesarbeitsministerin. Sie kündigt nun ein hartes Gegenkonzept für Herbst an.
Sie werde „konkrete Vorschläge“ gegen Sozialbetrug vorlegen, sagte Bas in Berlin, darüber sei sie mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Austausch. Sie will bei der Bundesagentur für Arbeit dafür ein eigenes „Kompetenzzentrum Leistungsmissbrauch“ einrichten. Bas‘ Plan ist ein besserer Datenaustausch zwischen Bund, Ländern und Kommunen – „etwa zwischen Ausländerbehörden, Jobcentern und Sicherheitsbehörden, insbesondere dem Zoll“, sagt sie. Das sei nötig, „um vor allem bandenmäßigen Leistungsmissbrauch systematisch bekämpfen zu können“. Außerdem will sie die Mitwirkungspflichten von Arbeitslosen verschärfen, also zum Beispiel ein regelmäßiges Erscheinen auf dem Amt. „Wer unseren Staat ausnutzt, der wird Konsequenzen spüren müssen.“ Ein „hartes Vorgehen“ gegen Sozialleistungsbetrug sei „wichtig, denn er bringt alle in Verruf, die wirklich bedürftig sind“.
Die Union würde gerne weiter gehen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann will stoppen, dass ausländische Aufstocker in diesem Umfang Sozialleistungen bekommen. „Auf EU-Ebene muss der Arbeitnehmerbegriff neu definiert werden. Wenige Stunden zu arbeiten und den Rest aufzustocken, obwohl man Vollzeit arbeiten kann, darf nicht möglich sein.“ Ziel müsse es sein, „dass grundsätzlich eine Vollzeittätigkeit maßgeblich ist – insbesondere bei kinderlosen Singles“. Bisher sei hier die Schwelle fürs Bürgergeld zu niedrig – eine „krasse Regelungslücke, die geradezu dazu einlädt, sie auszunutzen“. Linnemann schlägt zudem vor, die (Schein-)Arbeitgeber haftbar zu machen für illegal kassierte Sozialleistungen. Das soll auch bei Schwarzarbeit gelten.
Auch aus Bayern kommt Druck, die Regeln schnell zu ändern. „Organisierter Betrug und Kriminalität in unserem Sozialstaat sind ein Skandal“, sagt Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) unserer Zeitung. „Die Sozialstaatsreform muss hier den Riegel vorschieben.“ In der neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende müsse Missbrauch gezielt bekämpft werden. „Das Vertrauen in unseren Sozialstaat geht sonst verloren.“ Auch Scharf fordert hier Unterstützung aus Brüssel ein. „Die Gesetze in der EU müssen natürlich auch auf den Prüfstand. Die Welt bleibt nicht stehen und dreht sich weiter – dementsprechend müssen auch Richtlinien und Verordnungen auf EU-Ebene angepasst werden.“ Ob Bas hier mitgeht, ließ eine Sprecherin ihres Ministeriums offen.
Um wie viele Fälle es genau geht, ist naturgemäß nicht bekannt. Die Zahl der Bürgergeldbezieher mit ausländischem Pass ist deutlich gestiegen von 19,6 Prozent 2010 auf 47,3 Prozent im Jahr 2023. Einer der Gründe ist der Zuzug hunderttausender Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Bürgergeldbetrugs wird für heuer aber nur auf knapp 500 geschätzt, etwas mehr als in den Vorjahren. Insgesamt beziehen 5,5 Millionen Menschen diese Sozialleistung. Kanzler Merz hatte eine Bürgergeld-Reform bis zum Jahresende eingefordert.(MIT AFP)