Merz im Dauerfeuer

von Redaktion

Harte Zeiten: Friedrich Merz (r.) und Lars Klingbeil sehen sich viel Kritik ausgesetzt – und versuchen gegenzusteuern. © AFP

München/Berlin – Friedrich Merz steht gute 20 Minuten am Rednerpult, als es der Bundestagspräsidentin zu bunt wird. „So, jetzt reißen wir uns hier wieder zusammen“, schimpft Julia Klöckner das Plenum. „Es ist genug reingerufen worden. Ich finde, dass der Respekt es gebietet, dem Redner zuzuhören.“ Merz dreht sich zur Präsidentin, bedankt sich für die Unterstützung. „Aber ganz offen gestanden: Ich halte das aus.“ Höhnisches Gelächter. „Für die Zuschauerinnen und Zuschauer sind diese Reaktionen aufschlussreicher als mancher Redebeitrag, der von dieser Stelle aus hier geleistet wird.“

Ja, der Bundeskanzler muss einiges aushalten in diesen Tagen. Nicht nur in der Haushaltsdebatte. Erst am Morgen hat die „Bild“ mal wieder eine „brutale Umfrage“ über den Kanzler veröffentlicht. „Viele Bürger haben KEINE Hoffnung, dass etwas besser wird – egal ob bei Wirtschaft, Zuwanderung oder Sicherheit“, schreibt das Boulevardblatt, das vielen als Stimmungsbeschleuniger im Land gilt. KEINE in Großbuchstaben. AfD-Chefin Alice Weidel bläst im Bundestag ins gleiche Horn. „Sie machen Politik gegen das eigene Volk“, schimpft sie. Die geplante Schuldenaufnahme sei ein „Verrat an den Bürgern“. Und: „Das ist der direkte Marsch in den Staatsbankrott.“

Merz kann es derzeit nur wenigen recht machen. Zuletzt war er immer wieder kritisiert worden, weil er sich zu viel um Außenpolitik kümmere und auf Reisen sei. Diesmal ist er nicht zur Generaldebatte der Vereinten Nationen gereist, sondern in Berlin geblieben – was ihm prompt von der Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann vorgeworfen wird: „Sie sollten in New York sein!“

Doch Merz weiß: Er muss jetzt in Deutschland viele Gespräche führen. So wie am Sonntag in der Münchner Staatskanzlei, wo er mit den anderen Parteichefs Details diskutierte. Denn tatsächlich bremst nicht nur die SPD seine Reformagenda, sondern auch die Schwester CSU. „Es ist falsch, dauernd über Kürzungen zu reden bei Leuten, die ihr Leben lang Beitragszahler waren“, sagt Markus Söder. Immerhin: Beim Treffen in München kam man voran, beispielsweise beim Thema Straßenbau, das viele Unionsabgeordnete umtreibt. 15 Milliarden Euro fehlen bis 2029. Am Montag in der Fraktionssitzung konnte Merz mehr Geld für die geplanten Projekte in Aussicht stellen.

Für nächste Woche plant der Kanzler einen weiteren Befreiungsschlag. Am Dienstag und Mittwoch hat er sein Kabinett in die Villa Borsig im Berliner Norden zur Klausur geladen (nicht wie die Vorgänger Merkel und Scholz auf Schloss Meseberg in Brandenburg). Zentrale Punkte am Tegeler See: weniger Bürokratie, schnellere Verfahren. Dabei dürfte Karsten Wildberger (CDU) seinen ersten großen Auftritt haben. Der Digitalminister hatte alle Ministerien aufgefordert, konkrete Vorhaben zum Bürokratieabbau vorzulegen. Diese wurden nun ausgewertet. Für jede bürokratische Belastung sollen künftig zwei abgeschafft, Unternehmen und Bürger so um zehn Milliarden Euro entlastet werden. Für Merz‘ Wirtschafts- und Modernisierungskurs ist das entscheidend.

Der Kanzler, der zuletzt einige Ruck-Reden für Reformen hielt, versucht bei der Haushaltsdebatte im Bundestag, einen anderen Ton in der Reformdebatte zu setzen. „Ich habe die Diskussion in den letzten Wochen so wahrgenommen, dass wir als Land in diesen Fragen vorankommen – und zwar in einer Weise, wie sie für eine Demokratie angemessen ist: indem wir miteinander diskutieren – auch kontrovers diskutieren.“

Der Kanzler spricht bewusst in Berlin, nicht wie Donald Trump in New York. Und so zieht er auch bewusst eine Trennlinie zur aktuellen Debattenkultur in den Vereinigten Staaten. Keine Fraktion habe bei der Wahl im Februar für ihre Agenda die absolute Mehrheit erhalten. „Wir müssen aufeinander zugehen.“ Solange man das schaffe, halte man das Land in guter Balance. „Das ist ein wesentliches Ziel meiner Regierung: nicht konfrontativ, nicht in einer tiefen Spaltung unserer Gesellschaft, sondern Wege aufzuzeigen, wie wir in der Mitte unsere demokratischen Entscheidungen treffen können, ohne dass daraus Hass und Hassrede in unseren Parlamenten und in der Öffentlichkeit wird.“

Des Kanzlers Ton will nicht ganz passen zu den aufgeregten Zwischenrufen von Links und Rechts. Aber Merz verspricht: „Das Ziel unserer Reformen, die wir auf den Weg bringen, ist nicht der Abbruch des Sozialstaats, sondern der Erhalt des Sozialstaats, wie wir ihn wirklich brauchen.“

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