Liusiena Zinovkinas Mann Kostja demonstrierte gegen die Besatzung und sitzt nun in russischer Haft. © Liusiena Zinovkina
München/Donezk – Rund ein Fünftel der Ukraine sind seit dem Überfall im Februar 2022 von russischen Truppen besetzt, rund 3,5 Millionen Menschen leben dort. An die Außenwelt dringt aus den Gebieten nicht viel. Nun enthüllt jedoch ein Bericht der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben.
Seit Anfang 2025 gelten in den besetzten Gebieten alle Personen ohne einen russischen Pass als „ausländische Staatsbürger“ und verlieren Zugang zu medizinischer Versorgung, Bank- und Sozialleistungen. Zudem könne ihr Besitz in Staatseigentum überführt und sie jederzeit ausgewiesen werden, heißt es in der Dokumentation.
Der Zwang zur Annahme der russischen Staatsangehörigkeit reiche bis in Entbindungsstationen. Dort wurde sogar Müttern mit Kindesentzug gedroht, wenn nicht mindestens ein Elternteil die russische Staatsbürgerschaft besitze, so die IGFM.
Wer Widerstand wagt, verschwindet in den russischen „Filtrationslagern“. So wurde im Mai 2019 die 38-jährige Natalija Wlassowa aus dem Oblast Donezk wegen Verdachts auf Geheimdiensttätigkeit für Kiew festgenommen und erst ins Lager „Isolazija“, dann in die Untersuchungshaft Nr. 1 nach Rostow am Don verbracht.
Die bei einem Häftlingsaustausch freigekommene Marina Tschujkowa, die gemeinsam mit Natalija inhaftiert war, berichtet über das Leid ihrer Mitgefangenen: „Sie hatte abgesägte Zähne, stark geschwollene Beine, Nierenversagen, eine Gehirnerschütterung, Prellungen und eine gebrochene Nase. Sie sagte, 15 Männer seien zu ihr gebracht worden, um das mit ihr zu tun, was sie tun wollten.“ Die in der Dokumentation beschriebenen Details der ständigen Vergewaltigungen durch die meist betrunkenen Russen, die Natalija ihr erzählte, sind kaum zu ertragen.
Aber auch der Alltag für die Ukrainer, die sich widerstandslos an die russischen Machthaber anpassen wollen, ist schwierig. „Der Schulalltag beginnt mit dem Hissen der russischen Flagge und dem Singen der russischen Hymne. Zudem werden die Kinder zum Schreiben von ‚Dankesbriefen‘ an russische Soldaten verpflichtet, während Schulmaterialien die Existenz der Ukraine als eigenständigen Staat leugnen“, heißt es in dem IGFM-Bericht.
Gegenüber der „Zeit“ berichtete eine Augenzeugin: „Im Supermarkt kann es passieren, dass auf einmal der Eingang zugesperrt wird und es heißt: Alle Telefone her!“ Wer Nachrichten auf Ukrainisch auf seinem Handy hat, wird festgenommen und stundenlang verhört.
Bis zu 16 000 Zivilisten aus den besetzten Gebieten sollen nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen in russischer Haft sein. So wie Liusiena Zinovkinas Mann Kostja, der sich an Demonstrationen gegen die Besatzung in Melitopol beteiligte. „Wenn man mit der russischen Welt nicht zufrieden ist, verschwindet man“, erzählt die mit den Tränen kämpfende Frau, die nach Deutschland fliehen konnte. „Öfter und öfter höre ich, dass die Ukraine endlich mal diese besetzten Gebiete abgeben muss, und dann können alle endlich im Frieden leben. Da muss ich nur lachen, weil das leider nicht stimmt. Das Leben unter russischer Besatzung ist kein Frieden – es ist nur Terror.“