Merz‘ 140-Milliarden-Euro-Plan

von Redaktion

Ein zerstörtes Haus in Kiew: Der Ukraine könnte schon bald mit eingefrorenem Kreml-Geld geholfen werden. © Efrem Lukatsky/dpa

München – Vor vier Wochen klang der Kanzler noch äußerst skeptisch. Beim Besuch des belgischen Premiers Bart De Wever in Berlin warnte Friedrich Merz vor negativen Folgen für den Kapitalmarkt, sollten jene Kreml-Milliarden angerührt werden, die eingefroren in Brüssel liegen. Auch De Wever sagte, das sei „rechtlich nicht so einfach“, und empfahl, wie bisher nur die Zinserträge für Kiew zu nutzen. „Das ist wie eine Gans, die goldene Eier legt“, sagte der Belgier. „Wir sollten diese Gans behalten.“

Seit Monaten debattiert Europa darüber, russische Zentralbankreserven anzuzapfen, um Kiew damit zu helfen. Das Reservoir ist gewaltig. 210 Milliarden Euro liegen seit Kriegsbeginn beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear auf Eis, Geld, das die Ukraine sehr gut gebrauchen könnte. Länder wie Estland werben deshalb heftig dafür, die Kreml-Milliarden endlich anzuzapfen. Bisher blockierte vor allem Berlin. Doch seit Neuestem klingt Kanzler Merz ganz anders.

Es sei nun an der Zeit, „einen wirksamen Hebel anzusetzen, um das zynische Zeitspiel des russischen Präsidenten zu durchkreuzen und ihn an den Verhandlungstisch zu zwingen“, schrieb er in einem Beitrag für die „Financial Times“. Darin greift Merz eine Idee auf, die in Brüssel offenbar seit einiger Zeit diskutiert wird. Das russische Geld soll nicht direkt angefasst werden, sondern als Sicherheit für einen zinslosen 140-Milliarden-Euro-Kredit an die Ukraine dienen. Der würde „erst dann zurückgezahlt, wenn Russland die Ukraine für die verursachten Schäden entschädigt hat“.

Die Vorteile lägen auf der Hand. Die Ukraine, die allein im Haushalt 2026 mit Auslandshilfen von 50 Milliarden Euro kalkuliert, hätte vorerst sichere Mittel zur Hand, um Waffen zu kaufen und eigene Produktionskapazitäten auszureizen. Die EU-Unterstützer wiederum, die wegen der wegbrechenden US-Hilfen nun deutlich mehr Last tragen, müssten ihre Haushalte nicht noch weiter belasten. Weil Frankreich und andere klamme Staaten viel weniger zahlungsbereit sind, würde das vor allem Deutschland entlasten. Kurzfristig brauche es für den Kredit allerdings „Haushaltsgarantien der Mitgliedstaaten“, schreibt Merz. In Berlin unken manche schon, der Kanzler fordere damit im Grunde Eurobonds für die Ukraine. Dabei lehnt die Union gemeinsame Schulden eigentlich ab.

Mit der Konstruktion würden zudem die größten Sorgen der Bundesregierung elegant umschifft. Die Idee, die russischen Reserven einfach zu beschlagnahmen, lehnt Berlin nicht nur aus rechtlichen Gründen ab, sondern auch aus Sorge vor der Signalwirkung. Die Befürchtung: Andere große Investoren, etwa Staatsfonds arabischer Länder, könnten ihr Geld aus Europa abziehen.

Zuletzt hatten vor allem die Grünen Druck auf die Bundesregierung gemacht, sich beim Kreml-Vermögen zu bewegen. Es sei gut, dass Merz seine Blockade endlich aufgebe, sagte der Beauftragte der Fraktion für Osteuropa, Robin Wagener, unserer Zeitung. Es gebe aber einen Haken: „Wenn Merz die Vermögen tatsächlich unter dem bestehenden Sanktionsregime belassen will, bleiben sie dem Veto von Orbán und Fico ausgesetzt.“ Die EU-Staaten müssen die Russland-Sanktionen halbjährlich verlängern. Für Ungarn und die Slowakei ist das regelmäßig Anlass, Forderungen an Brüssel zu stellen.

Wagener forderte zuletzt eine Experten-Anhörung im Bundestag, um den besten Weg zu suchen, die russischen Milliarden zu nutzen. Gut möglich aber, dass in den nächsten Wochen schon Fakten geschaffen werden. Nächste Woche steht ein informeller EU-Gipfel an, dort will Merz über die Idee diskutieren. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen dürfte er auf seiner Seite haben – sie hatte schon in ihrer Rede zur Lage der EU ein ähnliches Modell vorgeschlagen. Und auch US-Präsident Donald Trump wäre wohl erfreut. Laut „Spiegel“ hat er die Nutzung russischen Vermögens zur Mit-Bedingung dafür gemacht, dass die USA härtere Sanktionen gegen Moskau verhängen.

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