Hilfe im Alltag: Wird insbesondere für Senioren mit geringeren Einschränkungen die Unterstützung gestrichen? © Kneschke/pa
Berlin/München – In der schwarz-roten Koalition gibt es Pläne, den Pflegegrad 1 zu streichen. Damit will Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) das drohende Sechs-Milliarden-Loch in der Kranken- und Pflegeversicherung stopfen, so die „Bild am Sonntag“. Allein in der Pflegeversicherung fehlen im kommenden Jahr rund zwei Milliarden Euro.
Der Pflegegrad 1 nützt vor allem älteren Menschen, die noch alleine leben, aber Hilfen fürs Putzen, Tablettensortieren oder Einkaufen brauchen. Mehr als 860 000 Menschen beziehen derzeit den niedrigsten Pflegegrad, der bei „geringer Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“ bezahlt wird. Angesichts der Alterung der Gesellschaft brauchen immer mehr Menschen derartige Hilfe: 2024 stieg die Zahl der Berechtigten um 81 500 Menschen. Laut einer Berechnung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) würde die Streichung des Pflegegrads rund 1,8 Milliarden Euro im Jahr einsparen – und damit einen Großteil des Finanzlochs in der Pflege schließen.
Begünstigte bekommen bisher einen monatlichen Entlastungsbetrag von 131 Euro – als Zuschuss beispielsweise für die Putzhilfe. Zudem gibt es bis zu 42 Euro monatlich als Zuschuss für Pflegehilfsmittel und bis zu 25,50 Euro für den Hausnotruf. Auch Umbauarbeiten etwa für eine rollstuhlgerechte Wohnung werden mit bis zu 4180 Euro pro Umbau-Maßnahme bezuschusst.
Bereits in den Koalitionsverhandlungen wurde über die Streichung gesprochen, damals noch ohne Ergebnis. Jetzt liegt die Option wieder auf dem Tisch. Führende Politiker von Union und SPD bestätigten gegenüber „Bild“, dass darüber nachgedacht wird. Warken dementiert das auf Nachfrage nicht, sagt nur, man wolle den Menschen nicht über Nacht etwas wegnehmen. „Eine Reform der Pflegeversicherung ist dringend überfällig“, betont die Ministerin. Offizielle Sparvorschläge Warkens sind noch nicht im Finanzministerium eingetroffen. Auch in der Bund-Länder-Kommission sei über „die Pflegegrade und deren Ausrichtung“ diskutiert worden, wie ein Ministeriumssprecher bestätigte. Entschieden worden sei noch nichts. Aber bis Mitte Oktober soll die Kommission erste Maßnahmen vorlegen.
Unionsfraktionsvize Sepp Müller (CDU) erklärte in der „BamS“: „Die Lohnnebenkosten müssen sinken, anstatt zu steigen. Das muss unser oberstes Ziel sein, um Arbeitsplätze und Wohlstand zu sichern. Deshalb müssen wir alle Instrumente ernsthaft prüfen.“ Auch die CSU organisiert dagegen keinen Aufstand. „Seit Mitte Juli tagt die erwähnte Bund-Länder-Kommission, um bis Ende des Jahres Eckpunkte für eine Pflegereform vorzulegen“, sagt Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) unserer Zeitung. „Dem Ergebnis der Beratungen kann und sollte nicht vorgegriffen werden.“ Von SPD-Fachpolitikern kommt Widerspruch. Als SPD-Fraktion verwahre man sich entschieden gegen Leistungskürzungen in der Pflegeversicherung, sagte der gesundheitspolitische Sprecher Christos Pantazis.