Branche in Aufruhr: Die Automobilindustrie ringt mit Herausforderungen. © dpa
München – Vor ein paar Monaten war Verkehrsminister Christian Bernreiter bei sich in Niederbayern im Wahlkampf. Ein Heimspiel, dachte er, bei Schichtwechsel vor den Werkstoren eines weiß-blauen Autokonzerns für die weiß-blaue CSU werben. Viele Reaktionen waren aber eher schroff. „Haut ab, ihr seid das falsche Blau“, bekam er zu hören. „Die wollen die Blauen von der AfD.“
Solche Schilderungen wie am Werkstor häufen sich. In der niederbayerischen Autoregion, aber auch am massiv in Schwierigkeiten rutschenden Industriestandort Schweinfurt berichten Politiker von wachsenden Werten der AfD. Die Partei versucht dort auch den Aufbau von parteinahen Betriebsratslisten. Er höre das mehrfach von Betriebsräten, warnte CSU-Chef Markus Söder intern seine Mitstreiter im jüngsten Parteivorstand.
In den öffentlichen Fokus geriet im Sommer die AfD-nahe Arbeitnehmerorganisation Zentrum, die sich selbst als „alternative Gewerkschaft“ verkauft und vergeblich versuchte, über den Rechtsweg in Niedersachsen Zugang zum Betrieb einer VW-Tochter zu erhalten, um dort Vertrauensleute zu wählen. Zuvor wollte der Verein im Unternehmen für die Abstimmung werben und Infomaterial verteilen. Das Gericht sah es jedoch als nicht ausreichend belegt an, dass am Standort mindestens eine Person arbeitet, die bereits Mitglied des Vereins ist.
Der Versuch, in einem Betrieb Fuß zu fassen, ist kein Einzelfall. Auf seiner Internetseite fordert eben dieses Zentrum Sympathisanten auf, in ihren Unternehmen einen Betriebsrat zu gründen, und bietet dabei seine Unterstützung an. „Wenn es in ,Eurer´ Firma bereits einen Betriebsrat gibt, dieser jedoch überwiegend aus Mitgliedern einer DGB-Gewerkschaft besteht, solltet Ihr ebenfalls tätig werden“, heißt es darüber hinaus. Denn DGB-Gewerkschaften agierten nicht selten „in einer Art Symbiose mit der Arbeitgeberseite zum Nachteil der Belegschaft“, behauptet Zentrum.
Aktuell erlebe man solche Versuche der Einflussnahme vor allem im Osten und in Teilen Baden-Württembergs, in Bayern nicht systematisch, sagt DGB-Chef Bernhard Stiedl. „Wir beobachten das sehr genau und bereiten uns entsprechend auf die Betriebsratswahlen im nächsten Jahr vor.“
In der CSU läuft die Suche nach politischen Ursachen. Parteivize Manfred Weber, selbst Niederbayer, warnt seit Wochen, die Debatte ums Verbrennerverbot befeuere die AfD an den Auto-Standorten bundesweit. In Dingolfing holte der AfD-Direktkandidat bei der Bundestagswahl 31,4 Prozent, 0,1 mehr als die CSU. In Leipzig (25 Prozent AfD, Platz 1), im Raum Wolfsburg und Neckarsulm war es ähnlich. Das Verbrennerverbot „treibt am Ende die Wähler scharenweise zur AfD“, warnt Weber. Auch deshalb dringt er in Brüssel massiv (und wohl demnächst erfolgreich) darauf, das fixe Ausstiegsdatum zu kippen.
Mit dem AfD-Aufstieg hat auch die SPD, einst eine stolze Arbeiterpartei, ein wachsendes Problem. Ob sie sich auch noch gegen das Verbrenner-Aus positioniert, wird in diesen Tagen hinter den Kulissen verhandelt. Zentrum jedenfalls schlägt auch in diese Kerbe: Gegen die „ideologisch vorangetriebene Transformation in der Automobilindustrie hin zur Elektromobilität“ sei von den etablierten Gewerkschaften kein Rückhalt für die Beschäftigten zu erwarten.
„Die Wahlerfolge rechtsextremer Listen bei einigen Betriebsratswahlen beunruhigen mich“, sagt Sebastian Roloff, neuer Bayern-Co-Chef der Sozialdemokraten, unserer Zeitung. Auch wenn AfD-nahe Betriebsräte bislang nur vereinzelt Sitze gewonnen hätten, sei zu befürchten, dass es bei der nächsten Betriebsratswahl mehr dieser Listen gebe. „Das zeigt deutlich, dass wir dringend eine aktive Industriepolitik umsetzen müssen, auch um die wirtschaftliche Lage zu verbessern“, folgert Roloff, der im Bundestag in Wirtschaftsfragen für seine Fraktion spricht. Konkret drängt er auf „niedrige Energiepreise genauso wie Kaufanreize für Elektroautos, denn die Beschäftigten brauchen eine klare Perspektive“.
Die Gesamtwerte zeigen: Bisher haben Union wie SPD kein Rezept gefunden. Die Sat1-Umfrage für Bayern zeigt sogar einen AfD-Rekord mit landesweit 19 Prozent – hinter der CSU (39), weit vor Grünen (11), Freien Wählern (11), SPD (7), Linken (4), BSW und FDP (je 2).