Taipeh – In Taiwan muss man ein wenig Ahnung von deutscher Geschichte haben, damit Michael Kretschmers Worte keinen bitteren Beigeschmack haben. Der sächsische Ministerpräsident spricht vor dutzenden Gästen im Nationaltheater von Taipeh, einem prachtvollen Gebäude im klassisch chinesischen Stil. „Der Tag der Wiedervereinigung war der glücklichste in der deutschen Geschichte“, erzählt er. So manch einer dürfte hier bei dem Wort zusammenzucken: Wiedervereinigung. Denn genau damit droht China Taiwan heute mehr denn je: ein Zusammenschluss der Insel mit der Volksrepublik, notfalls auch mit Gewalt.
Doch darauf will der CDU-Politiker gar nicht anspielen. Die Veranstaltung, auf der Kretschmer spricht, ist eine Feier zum Tag der Deutschen Einheit, ausgerichtet von der deutschen Vertretung in Taiwan. Die Reise ist extrem heikel. Dass ein deutscher Landeschef die Pazifikinsel besucht, die China als abtrünniges Gebiet betrachtet – das gab es noch nie. Aber seit sich der taiwanische Halbleiter-Gigant TSMC dazu entschieden hat, eine Fabrik in Dresden zu bauen, verbindet Sachsen und Taiwan eine besondere (und zugleich sehr riskante) Freundschaft.
Zwei Tage verbringt Kretschmer mit seiner 50-köpfigen Delegation in Taiwan, danach geht es nach Japan und Singapur. Währenddessen ist er auffallend bemüht, Peking nicht zusätzlich zu provozieren. Auf Fragen zu Politik und Diplomatie bleibt er vage. „Für mich ist es ein Besuch in wirtschaftlichen und kulturellen Fragen“, erklärt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Kurz zuvor hatte er sich mit dem Chef von TSMC, C.C. Wei, in der Küstenstadt Hsinchu getroffen. „Ich halte es für richtig, hier zu sein – schließlich geht es um eine Investition von 10 Milliarden Euro.“ So etwas gäbe es in Europa derzeit kein zweites Mal, sagt Kretschmer, und man hört einen gewissen Stolz heraus.
Kretschmer betont, es gehe um eine Geschäftsreise – und dennoch bleibt sie politisch hochsensibel. Denn in den Beziehungen zu China gilt: Hochrangige deutsche Politiker reisen nicht nach Taiwan. Als im März 2023 Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) dort Gespräche zur Halbleiter-Kooperation führte, war das der erste Ministerbesuch seit 26 Jahren. Peking protestierte umgehend und verlangte das sofortige Einstellen offizieller Kontakte zu „separatistischen Kräften Taiwans“.
Auch jetzt, zweieinhalb Jahre später, sind die Beziehungen zwischen Berlin und Peking angespannt. Ende August hatte Außenminister Johann Wadephul ein „zunehmend aggressives Auftreten“ Chinas in der Taiwanstraße angeprangert. Das chinesische Außenministerium warf ihm daraufhin vor, „zur Konfrontation anzustacheln und Spannungen anzuheizen“. Ob Kretschmers Besuch nun mit der Bundesregierung abgestimmt war, bleibt derweil unklar. Der CDU-Politiker antwortet ausweichend. „Ich mache meine Termine so, wie ich sie für richtig halte.“
Aus informierten Kreisen hört man, die chinesische Botschaft habe bereits im Vorfeld Kretschmers Reise scharf kritisiert. Offiziell hat sich Peking bislang noch nicht dazu geäußert. Doch während der Sachse in Taipeh über die deutsche Wiedervereinigung spricht, setzt Staatschef Xi Jinping im nur 1700 Kilometer entfernten Peking – zum 76. Jahrestag der Volksrepublik – ebenfalls ein klares Zeichen: Er kündigt an, „separatistischen Aktivitäten für eine Unabhängigkeit Taiwans“ und „äußerer Einmischung“ entschlossen entgegenzutreten.KATHRIN BRAUN