INTERVIEW

„Notfalls fliege ich selbst nach Syrien“

von Redaktion

Innenminister Dobrindt über seinen harten Migrations-Kurs und den neuen Asylgipfel

Alexander Dobrindt im Gespräch in der Redaktion mit (v.l.) Sebastian Arbinger, Christian Deutschländer, Sebastian Horsch, Sophia Belliveau und Klaus Rimpel. © Marcus Schlaf

Der Herr der Schranken? Alexander Dobrindt (CSU) steht als Innenminister für einen harten Kurs. © Foto: Marcus Schlaf

Seit knapp fünf Monaten arbeitet Alexander Dobrindt als Bundesinnenminister an der Migrationswende. Die Ankunftszahlen sanken stark, bei Abschiebungen gibt es aber nach wie vor Probleme. Am Samstag holt der CSU-Politiker nun die Amtskollegen aus Italien, Frankreich, Polen, Dänemark, Schweden, Belgien, den Niederlanden und der Schweiz zum Münchner Migrationsgipfel in die Stadt. Was plant er? Wir haben uns mit dem 55-Jährigen aus Peißenberg vorab zum Interview getroffen.

Sie waren diesen Sommer im Italien-Urlaub. Wie lange standen Sie an der Grenze im Dobrindt-Stau?

Gerade mal fünf bis zehn Minuten. Ich bin auf freundliche Bundespolizisten getroffen, die mich zügig durchgewunken haben. Mir ist bewusst, dass der ein oder andere auch mal länger warten muss. Ich kann aber versichern, dass alles getan wird, damit sich die Grenzkontrollen so gering wie möglich auf den Grenzverkehr auswirken.

Waren die Kontrollen all den Ärger wert?

Die Kontrollen sind ein starkes Signal: Deutschland meint es ernst mit der Migrationswende! Deswegen habe ich die verstärkten Grenzkontrollen auch um sechs Monate verlängert. Die Asylzahlen sinken zwar, aber die Belastung der Kommunen ist immer noch zu hoch. Ich bin ein großer Anhänger eines Europas der offenen Grenzen. Wenn der EU-Außengrenzschutz besser funktioniert und Asylverfahren an den Außengrenzen stattfinden, brauchen wir auch keine Binnengrenzkontrollen mehr. Das muss hergestellt werden, daran arbeiten wir!

Nächster Schritt: Abschiebungen verstärken, auch in schwierige Herkunftsländer. Konkret: Wer muss nach Afghanistan zurück?

Noch im Oktober reist eine deutsche Delegation zu technischen Gesprächen nach Kabul. Bisher sind wir bei Abschiebungen nach Afghanistan auf die Unterstützung des Emirats Katar angewiesen. Mein Ziel ist es, künftig ohne Vermittler regelmäßig und regulär Straftäter nach Afghanistan abzuschieben. Um das zu erreichen, brauchen wir Vereinbarungen mit den Verantwortlichen vor Ort.

Sie schicken deutsche Beamte nach Kabul, zu den Taliban. Graust es Ihnen nicht vor dem bluttriefenden Islamisten-Regime?

Wer deutsche Interessen vertreten will, kann sich nicht immer aussuchen, mit wem in der Welt er sprechen darf. Ich will schwere Straftäter, die eine Gefahr für die Öffentlichkeit sind, so schnell wie möglich außer Landes bringen. Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt mich dabei.

Auch ohne Katar als bisherigem Vermittler?

Ich halte es für eine verlogene Debatte, Vereinbarungen mit den Verantwortlichen in Afghanistan über den Mittler Katar für moralisch richtig zu finden, direkte Gespräche aber nicht. Das werfen mir ausgerechnet Grünen-Politiker vor, unter deren grüner Außenministerin Baerbock es mindestens sechs solch technischer Gespräche in Afghanistan gab – was für eine Heuchelei!

Sind Sie bereit, sich notfalls selbst in den Flieger nach Kabul und/oder Damaskus zu setzen?

Wir wollen noch in diesem Jahr Vereinbarungen mit Syrien über die Rückführung von Straftätern treffen. Auch da ist eine technische Mission in Vorbereitung. Falls die nicht erfolgreich wäre, bin ich auch selbst zu Gesprächen in Syrien bereit.

Abschieben von Straftätern – heißt der Umkehrschluss: Wer aus Syrien und Afghanistan kam, Asyl will, sich integriert hat und arbeitet, darf gerne bleiben?

Wir unterscheiden da. Der Maßstab wird sein: Wer sich integriert hat, wer arbeitet, der hat eine Chance, in Deutschland zu bleiben. Für alle anderen wollen wir die Ausreisepflicht durchsetzen.

Wär ja gut, wenn die Asylbewerber auch arbeiten dürften.

Ich ändere gerade die gesetzliche Grundlage. Auch wenn jemand noch im Asylverfahren ist, soll er nach drei Monaten arbeiten dürfen. Denn so zeigt sich schnell, wer an der Arbeitswelt teilnehmen und sich in unserer Gesellschaft integrieren will – oder wer nur ins soziale Sicherungssystem einreisen will.

Am Wochenende holen Sie mehrere EU-Innenminister zum Migrationsgipfel zu uns. Was ist der nächste Masterplan?

Wichtig ist, europäisch an einem Strang zu ziehen. Das „Munich Migration Meeting“ ist das zweite Treffen innerhalb weniger Monate, zu dem ich eingeladen habe. Das erste fand auch in Bayern statt, im Juli auf der Zugspitze. Wir wollen etwa beim Vorhaben der „return hubs“ vorankommen. Also Rückkehrzentren, die möglichst nah an den Herkunftsländern liegen. Diese Zentren sollen abgelehnte Asylbewerber aus Europa aufnehmen, die nicht in ihre Heimatländer zurückgeführt werden können.

Die Niederlande arbeiten am Uganda-Modell, Sie selbst waren mal in Ruanda. Glauben Sie noch an das Konzept?

Darüber diskutieren wir in Europa. Wir wollen von der EU die rechtlichen Möglichkeiten zu solchen Zentren. Gleichzeitig wissen wir, dass wir uns nicht darauf verlassen können, dass die EU diese „return hubs“ aufbaut. Mein Plan ist eine vernetzte Zusammenarbeit von einzelnen Mitgliedsstaaten, die das umsetzen. Wo genau, haben wir noch nicht vereinbart.

In Pakistan harren über 2000 Afghanen aus mit angeblicher Aufnahme-Zusage. Warum sind Sie misstrauisch?

Das ist ein geerbtes Problem, das uns das grüne Außenministerium in der Ampel-Regierung unerledigt hinterlassen hat. Vor zwei Jahren hat Annalena Baerbock diesen Menschen in großer Leidenschaft die Einreise versprochen und sie aus Afghanistan nach Islamabad bringen lassen. Allerdings größtenteils ohne rechtsverbindliche Aufnahmezusage und ohne Sicherheitsprüfung. Wir arbeiten die Fälle nun ab. Wer eine rechtsverbindliche Aufnahmezusage hat, dessen Visaverfahren wird geprüft. Nur wer erfolgreich eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen hat, kann einreisen. Wer keine rechtsverbindliche Aufnahmezusage hat, wird nicht einreisen können.

Ihr Kollege Wadephul hat da weniger Kummer. Hat der CDU-Außenminister mehr Herz, oder hört er zu sehr auf seine Beamten?

Die Ampel hat auch schlampig gearbeitet mit unterschiedlichen vermeintlichen Aufnahmezusagen. Ich lese immer wieder, da gehe es um Ortskräfte. Wahr ist: Lediglich zehn Prozent dieser Gruppe berufen sich auf das Ortskräfteverfahren. Der überwiegende Teil beruft sich auf andere Aufnahmeprogramme, die Baerbock ins Leben gerufen hat.

Ist das Thema Asyl insgesamt noch so prägend? Die Zahlen sanken doch stark.

Wir haben schon viel auf den Weg gebracht. Die Grenzkontrollen sind das Eine. Das Andere ist, die Pull-Faktoren zu senken – wie die Aussetzung des Familiennachzugs oder das Aus für die Turbo-Einbürgerung. Wir haben die Asylzahlen um 60 Prozent reduziert. Im Grunde geht es darum, dafür zu sorgen, dass die enorm hohe Migrationszahl, die unsere Gesellschaft bereits überfordert, weiter zur reduzieren. In Kitas, Schulen, auf dem Wohnungsmarkt oder in der Gesundheitsversorgung sehen wir nach wie vor eine Überforderung.

Ist das der Grund, warum die AfD trotz Migrationswende steigt?

Die Menschen nehmen wahr, dass die Migrationswende erfolgreich läuft. Aber die Emotion ist stark bestimmt durch das Bild, am Bahnhof oder auf dem Marktplatz, das verändert sich nicht sofort, auch wenn die Ankunftszahlen sinken. Dem müssen wir etwas Zeit geben.

Markus Söder (CSU) sagt: Das Stadtbild muss sich wieder ändern. Manfred Weber (CSU) sagt: Gewöhnt euch an ein anderes Stadtbild. Wer hat Recht?

Das Stadtbild muss sich eindeutig ändern. Wenn wir von Stadtbild reden, meinen wir junge Männer, die sich nicht integrieren und nicht arbeiten wollen, die möglicherweise ausreisepflichtig sind. Es geht ja nicht um diejenigen, die kommen, sich integriert haben – und einen positiven Beitrag in unserer Arbeitswelt leisten. Deutschland ist und bleibt ein weltoffenes Land, aber genau deshalb müssen wir uns gegen eine Einreise in unsere Sozialsysteme wehren.

Gehört dazu auch, wehrfähige Ukrainer zurück in die Ukraine zu senden?

Richtig ist, dass wir das Thema neu betrachten müssen. Seit Beginn von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine sind dreieinhalb Jahre vergangen. Es ist kurzfristig leider kein Frieden in Sicht. Aber in der Zukunft wird eine Nachkriegs-Ukraine auch Bürger für den Wiederaufbau benötigen. Ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung ist zurzeit außerhalb des Landes. Viele sind nach Deutschland geflohen. Zu wenige von ihnen arbeiten hier. Das muss sich ändern. Auch die Frage nach Rückkehr in die Ukraine spielt dabei eine Rolle.

Wir hatten Großdemos zu Gaza am Wochenende. Irritiert Sie, wer da zusammen auf der Straße ist?

Ich finde die Parolen dort teilweise widerwärtig. Ich habe kein Verständnis, wenn Politiker von Bundestagsparteien auf diesen Demos zu Unterstützern radikaler Antisemiten werden. Selbstverständlich darf man eine Regierung in Israel kritisieren. Aber diese Parolen oder auch die Aufrufe, Juden seien in Geschäften nicht erwünscht, sind nicht Kritik, sondern blanker Antisemitismus.

Sie sind Pro-Israel-Hardliner. Ist Netanjahu noch Ihr Freund – oder sehen Sie in ihm den korrupten Kriegsverbrecher?

Mir geht’s nicht um einzelne Personen und ich akzeptiere auch nicht alles wortlos, aber ich stehe klar an der Seite Israels. Wir sind engster Partner. Das ist für mich Staatsräson und dem fühle ich mich verpflichtet.

Persönlich: Ihr Alltag ist auf den Kopf gestellt. Sie wohnen seit Amtsantritt hinter Panzerglas, neben uns hier sitzen drei Bodyguards. Wie dramatisch hat sich Ihr Leben geändert?

Mir war das vollkommen klar – die Sicherheitsmaßnahmen für einen Bundesinnenminister sind anders als alles, was ich in der Politik bisher erlebt habe. Man kann sich damit aber sehr gut arrangieren. Es ist ein selbstgewähltes Schicksal: Ich hatte freie Wahl, ob ich dieses Amt antrete.

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