INTERVIEW

„Der Krieg kommt langsam hierher“

von Redaktion

mit dem ukrainischen Botschafter in Berlin: Oleksii Makeiev

„Für mich ist das sehr persönlich“: Oleksii Makeiev in der Redaktion. © Foto: Yannick Thedens

München – Sein Vorgänger Andrij Melnyk provozierte, er selbst pflegt einen völlig anderen Stil. Seit knapp drei Jahren ist Oleksii Makeiev (49) ukrainischer Botschafter in Berlin. Ein Interview über Putins Drohnen, deutsche Firmen in Russland und die Arbeitsmoral seiner Landsleute.

Herr Botschafter, Drohnen über Europa, Kampfjets im Nato-Luftraum. Will Putin einen Krieg mit uns provozieren?

Putin selbst sagt seit Langem, dass er im Krieg mit dem Westen ist. Gerade testet er, ob die Regierungen, die Armeen und die Gesellschaften resilient genug sind, um auf solche Angriffe richtig zu antworten. Die Russen werden so weit gehen, wie Europa und die Nato es erlauben.

War unsere bisherige Reaktion ausreichend?

Es gab immerhin Konsultationen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags. Aber wenn es nur dabei bleibt, werden die Russen weitermachen. Diplomatie ist wichtig, aber es braucht auch andere Antworten.

Sollten wir die nächste Drohne also abschießen?

Natürlich. Wenn etwas in den Luftraum kommt und Menschenleben bedroht, muss man es vom Himmel holen. Die Nato lässt ja auch keine russischen Panzer über ihre Grenze rollen. Warum sollte das bei Drohnen oder Jets anders sein?

Keine Sorge, dass Putin den Krieg hierher eskaliert?

Ich hasse dieses Wort Eskalation. Was muss Putin denn noch machen? Manchmal lässt er mein Land mit 800 Drohnen und 40 Raketen am Tag beschießen, es ist unglaublich. Der Bundeskanzler hat gerade gesagt, Deutschland sei „nicht mehr im Frieden“ und es ist richtig, dass er diese Realität so kommuniziert. Der Krieg kommt langsam, aber sicher auch nach Deutschland.

Gibt es eine Kriegsmüdigkeit in der Ukraine?

Natürlich ist man müde, wenn man die ganze Nacht von Raketen beschossen wird. Aber es gibt keine Stimmung, die sagt, wir sollten uns den russischen Forderungen beugen und etwa Land abtreten. In den besetzten Gebieten leben Menschen, und wir wissen sehr genau, was es heißt, unter russischer Besatzung zu leben. Kinder werden entführt, Menschen werden gefoltert, alles Ukrainische wird vernichtet. Das entspricht nicht unseren Vorstellungen von Frieden und Menschenrechten. Gebiete abzutreten, kommt nicht infrage.

Wie würden Sie die Lage an der Front beschreiben?

Seit drei Jahren haben die Russen ein paar Quadratkilometer gewonnen, aber sie versuchen mit aller Kraft, den Eindruck zu erzeugen, sie stünden kurz vor Kyjiw*. Wir verwenden viel Energie darauf, in Washington und anderswo zu erklären, wie die Lage wirklich ist. Dass die Russen tausende Soldaten in den Fleischwolf schicken, aber nicht mal ein Dorf einnehmen können. Ich will nichts kleinreden, auch uns kostet das jeden Tag Menschenleben. Aber nein, es gibt keine großen Gebietsgewinne der Russen.

Ist es eine Genugtuung für Sie, dass die Ukraine bald auch mit eingefrorenen russischen Milliarden unterstützt werden könnte?

Wir fordern das seit Langem. Und wenn Deutschland diese Idee unterstützt, macht das auch Eindruck auf andere Länder. Es wäre doch eine falsche Botschaft an deutsche Steuerzahler, zu sagen: Ihr zahlt für die Ukraine, aber russische Milliarden sind unantastbar. Das Geld kann uns helfen, Waffen etwa in den USA zu kaufen, vor allem aber die Produktionskapazitäten in der Ukraine voll auszuschöpfen. Wir können in vielen Fällen viel schneller produzieren als europäische Rüstungsunternehmen.

Der US-Präsident hat beklagt, dass Europa weiter russisches Öl und Gas bezieht. Sind wir in Ihren Augen Heuchler?

Länder, die weiter russisches Öl und Gas kaufen und so Russlands Kriegsmaschinerie finanzieren, schaden meinem Land enorm damit. Deutschland dagegen importiert schon seit Anfang des Krieges nichts mehr aus Russland. Was ich aber inakzeptabel finde, ist, dass manche deutsche Unternehmen überhaupt keine Schlussfolgerungen aus dem Leid der Ukraine gezogen haben. Metro hat sehr viele Supermärkte in Russland, die Firma Claas verkauft weiterhin Agrartechnik dorthin. Jeder Steuer-Rubel wird dafür genutzt, neue Drohnen nach Kyjiw zu schicken, wo meine Mutter wohnt. Für mich ist das auch sehr persönlich.

Washington denkt darüber nach, der Ukraine Tomahawk-Raketen zu liefern…

Das habe ich auch gehört, kann aber nichts dazu sagen. Wir haben im letzten Jahr unsere Kapazitäten erweitert und stellen Drohnen her, die Ziele weit über 1000 Kilometer in Russland erreichen können. Natürlich sind Raketen viel wirksamer, um russische Waffen-Produktionsstätten zu treffen. Wir bräuchten diese Systeme.

Auch den Taurus? Oder können Sie‘s nicht mehr hören?

Ich finde gut, dass Deutschland möglicherweise bald in die Produktion von Langstrecken-Waffen in der Ukraine investiert. Deren Reichweite ist deutlich größer als die des Taurus.

Alexander Dobrindt meint, man müsse wehrpflichtige Ukrainer zurückschicken.

In der Diskussion entsteht der falsche Eindruck, als seien eine Million Wehrpflichtige in Deutschland. Insgesamt haben 1,2 Millionen Ukrainer hier Schutz gefunden, 70 Prozent davon sind Frauen mit kleinen Kindern. Und nicht alle der Männer haben die Ukraine rechtswidrig verlassen. Wer Krankheiten hat, pflegebedürftige Angehörige oder eine Familie mit drei Kindern, der darf ausreisen.

Auch um das Bürgergeld für Ukrainer gibt es Debatten. Fühlen Sie die Solidarität schwinden?

Über 40 Prozent meiner Landsleute haben inzwischen eine Arbeit. Viele haben kleine Unternehmen gegründet: Cafés, Beauty-Salons, Schneidereien, Blumenläden. Wir Ukrainer sind sehr unternehmerisch. Aber man muss ehrlicherweise sagen: Deutschland macht es einem nicht immer leicht, Arbeit aufzunehmen.

Die niedrige Beschäftigungsquote hat nichts mit dem Bürgergeld zu tun?

Die meisten Ukrainer wollen ihren Teil beitragen. Es ist nur so: Wenn Sie einen Blumenladen eröffnen wollen, brauchen Sie unendlich viele Zertifikate. Wenn in München ein Klempner gesucht wird, dann wissen die Jobcenter in Stuttgart oder Regensburg nichts davon. Warum nicht? Berufsanerkennung ist auch ein großes Thema. Da muss sich einiges verbessern. Ein Großteil der Ukrainer ist in Deutschland integriert. Ich würde mir wünschen, dass sie nicht stigmatisiert und von den Kräften als politisches Mittel genutzt werden, die nur Ausländerhass verbreiten wollen. Aber leider kann man mit dieser Stimmungsmache besser Wahlkampf machen als mit einer ehrlichen Debatte über Krieg und Frieden.

*Kyjiw ist die ukrainische Schreibweise der Hauptstadt.

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