Vertauschte Rollen: Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron keinen Ausweg aus der Krise findet, lenkt Giorgia Meloni Italien souiverän. © Foto: Imago
Rom – In Frankreich herrscht politisches Chaos, in Deutschland und Österreich verlieren die Regierungsparteien immer mehr an Rückhalt in der Bevölkerung. Und in Italien? Dort feiert Giorgia Meloni einen Wahlerfolg nach dem anderen. Bei den Regionalwahlen am Wochenende in Kalabrien setzte sich der Kandidat der Mitte-Rechts-Regierung in Rom klar durch. Zuvor siegte ein Parteifreund Melonis in der Region Marken. Meloni schwärmte von einer „Anerkennung der guten Regierungsarbeit“.
Die Welt spielt verrückt, auch in Kerneuropa. Während die zwei größten EU-Nationen kriseln, stellt das chronisch instabile Italien plötzlich einen Stabilitätsfaktor dar. Und das mit einer ultrarechten Regierungschefin, die gerade mehrere Etappensiege feiert. Am 22. Oktober wird Meloni drei Jahre im Amt sein, eine Bestmarke für Italien. Bei der Parlamentswahl 2022 erhielt ihre Partei Fratelli d‘Italia (FdI) 26 Prozent der Stimmen, heute liegt sie in Umfragen bei rund 30 Prozent. Die Regierungschefin hat ihre Rechts-Koalition mit Forza Italia und Lega im Griff, es ist die europaweit einzige, in der rechtsradikale Parteien (FdI, Lega) mit der gemäßigten Rechten (Forza Italia) koalieren.
Im politisch volatilen Italien (68 Regierungen seit dem Zweiten Weltkrieg) verfolgt Meloni eine autoritär-konservative Linie in der Innenpolitik und einen pragmatischen Kurs in der Außenpolitik. Sie konstruiere „eine neue Art von Nationalismus“, schrieb das Time-Magazin, „populistisch, nativistisch und prowestlich, aber den europäischen und atlantischen Bündnissen verpflichtet“. „Zuallererst müssen wir verteidigen, was wir sind: unsere Kultur, unsere Identität, unsere Zivilisation“, sagte Meloni dem Magazin diesen Sommer.
Entgegen anfänglicher Zweifel bekennt sich die Ministerpräsidentin seit Beginn ihrer Amtszeit zu Nato, EU und steht klar an der Seite Kiews. International hat sich die 48-Jährige Respekt und Gehör verschafft, sie kann mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ebenso wie mit US-Präsident Donald Trump. Als eine ihrer außenpolitisch wichtigsten Entscheidungen gilt der Austritt aus dem Infrastruktur-Abkommen Belt and Road Initiative mit China 2023. Kopfzerbrechen bereiten Meloni derzeit die zahlreichen Pro-Palästina-Demos in Italien. Die Ministerpräsidentin positionierte sich lange klar an der Seite Israels.
Wirtschaftlich stehen die Zeichen in Italien auf Erholung. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs 2024 um 0,7 Prozent, auch dank der Covid-Hilfsgelder der EU (195 Milliarden Euro). Die immer noch hohe Staatsschuldenquote (135 Prozent des BIP) schrumpft leicht. Das Haushaltsergebnis 2024 war besser als erwartet. „Wir sind nicht länger der kranke Mann Europas“, behauptete Meloni.
Die Römerin galt zu Amtsbeginn noch als postfaschistische Gefahr. 2024 erklärte sie das Magazin Politico zur „mächtigsten Frau Europas“. „Melonis größter Erfolg besteht darin, das Bild einer relativ gemäßigten Führungspersönlichkeit zu vermitteln, obwohl sie aus dem extremen rechten Lager stammt“, urteilt Nathalie Tocci, Direktorin des Thinktanks Istituto Affari Internazionali in Rom.
In Italien regiert Meloni mit harter Hand. Gleich nach Amtsbeginn schränkte die Regierung das Versammlungsrecht ein, lockerte es dann aber wieder. Laut Innenministerium ging die illegale Einreise Asylsuchender über das Mittelmeer 2024 um mehr als 60 Prozent zurück, auch dank Abkommen mit Tunesien und Libyen. Der Plan Melonis, nicht asylberechtigte Migranten in Albanien zu internieren und von dort abzuschieben, schlug bislang fehl. Italienische Gerichte erklärten die Praxis für illegal.
Italiens Regierung versucht außerdem mit einer umstrittenen Verfassungsreform die Macht des Premierministers auszuweiten und will unbequeme Staatsanwälte mithilfe einer Justizreform stärker an die Kandare nehmen. Kritiker erkennen darin Italiens langsames Abdriften in eine illiberale Richtung.