Soll Kinder schützen: die Chat-Kontrolle. © Scheurer/dpa
Brüssel – Kinderfotos aus dem Sommerurlaub, Bilder vom Badeausflug oder Aufnahmen vom Schulsportfest: Zwei, drei Klicks auf dem Smartphone, und schon landen die Fotos via Whatsapp auf den Handys der Großmutter und des besten Freundes. Was harmlos klingt, könnte bald ernste Konsequenzen haben. Die EU plant künftig ganz genau hinzuschauen, welche Bilder auf den Kurznachrichtendiensten kursieren. Am Mittwochabend kamen die Botschafter der EU-Länder zur Beratung in Brüssel zusammen.
Das Ziel: Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen. Schließlich befindet sich der Markt für kinder- und jugendpornografische Dateien seit Jahren auf einem traurigen Rekordhoch. Nach eigenen Angaben erhielt das Bundeskriminalamt im Jahr 2024 insgesamt 205 728 Verdachtsmeldungen vom US-amerikanischen National Center for Missing and Exploited Children, das Hinweise zu kinderpornografischem Material länderübergreifend sammelt und an die zuständigen nationalen Behörden weiterleitet.
Um Kriminellen das Handwerk zu legen, beschäftigt sich die EU schon länger mit dem Konzept einer Chat-Kontrolle, also das Durchleuchten von privaten Online-Nachrichten. Mithilfe eines Scanvorgangs sollen die Endgeräte der App-Nutzer nach strafbarem Bild- und Videomaterial durchsucht werden, und zwar bevor es verschickt wurde. Verdächtige Inhalte werden an die Behörden gemeldet. Textnachrichten sind nicht betroffen. Die sogenannte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, bei der nur Absender und Empfänger über den Inhalt einer Nachricht Bescheid wissen, wäre somit ausgehebelt. Ein Vorhaben, das auf Gegenwind stößt.
Nicht nur App-Nutzer fürchten um ihre Privatsphäre, auch die Plattformen selbst äußern Bedenken: Der Vorschlag „gefährdet die Privatsphäre, Freiheit und digitale Sicherheit aller“, sagt eine Sprecherin des Konzerns Meta, zu dem auch Whatsapp gehört, gegenüber Netzpolitik.org. Meredith Whittaker, Chefin des Messengers Signal, geht noch einen Schritt weiter. Sollten die Pläne umgesetzt werden, schließt sie nicht aus, sich aus Europa zurückzuziehen.
Große Bedenken an dem EU-Vorhaben hegen auch Union und SPD. Fraktionschef Jens Spahn (CDU) vergleicht eine Durchleuchtung privater Chats ohne Anlass mit dem Öffnen fremder Briefe. „Das geht nicht, das wird es mit uns nicht geben“, erklärt Spahn, der sich gleichzeitig klar dafür aussprach, Kindesmissbrauch bekämpfen zu wollen. Unterstützung erhält die Union vom Koalitionspartner. „Anlasslose Chat-Kontrolle muss in einem Rechtsstaat tabu sein“, sagt Justizministerin Stefanie Hubig (SPD). Fraktionsvize Sonja Eichwede fordert indessen, zielgerichtet gegen Täter vorzugehen, „nicht gegen alle Bürgerinnen und Bürger“. Ähnlicher Ansicht ist Irene Mihalic (Grüne). Kriminelle wichen schlicht auf andere Kanäle aus, so ihre Kritik.
Beim Versuch, einen Kompromiss zu finden, scheiterten bereits mehrere Ratspräsidentschaften. So auch gestern. Ein Vorschlag Dänemarks fand nicht die nötige Unterstützung. Ob er überarbeitet wird, ist offen.FLORIAN ZERHOCH