Die AfD im Wehrpflicht-Dilemma

von Redaktion

In „tiefster Gangart“ durchs Gelände. Die AfD streitet über die Wehrpflicht, die sie im Grundsatzprogramm eigentlich fordert. © Peter Steffen/dpa

München – Es klingt fast so, als drohe Thüringen die sofortige Mobilmachung. August 2024, Landtagswahlkampf in Sonneberg. Björn Höcke spricht, auch über die Ukraine, klagt laut über die angebliche „Kriegspropaganda“ Berlins. Es dürfe nicht sein, ruft er, dass „unsere wenigen Söhne, die wir noch haben, dass die für fremde Kriege in fremden Ländern, für fremde Interessen zerschossen, zerfetzt, verbrannt werden.“ Dann: „Meine Söhne, unsere Söhne, kriegt ihr nicht.“

Höckes Sätze klingen heute nach – sie sind Kern einer Debatte, die die AfD derzeit in Erklärungsnot bringt. Braucht es in diesen angespannten Zeiten einen Wehrdienst, womöglich gar die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht? In ihrem Grundsatzprogramm fordert die Partei genau das. Aber ein Teil der AfD, vor allem im Osten, bläst zum Widerstand.

Die Konfliktlinie verläuft, wie so oft, zwischen West und Ost – mitunter zwischen jenen in der AfD, die die russische Aggression als Gefahr sehen, und den anderen, die wie Höcke glauben, der Westen provoziere. Die einen wollen die Landesverteidigung organisieren, die andern wittern Düsteres darin, manche gar eine geheime Agenda, um Deutschland in den Krieg zu ziehen.

Nicht mal die Parteichefs sind sich einig, das zeigte sich bei der Vorstandssitzung am Montag noch mal. Alice Weidel ist für, Tino Chrupalla gegen die Wehrpflicht. Dass die AfD die Debatte bisher weitgehend intern führen kann, hat sie auch der schwarz-roten Koalition zu verdanken. Union und SPD ringen noch um ihren gemeinsamen Wehrdienst-Vorschlag, die Diskussion im Bundestag wurde vertagt. „Also müssen wir jetzt auch gar nichts vorlegen“, sagte AfD-Parlamentsgeschäfstführer Bernd Baumann am Montag dazu. Er klang geradezu dankbar.

Die Positionen, die die AfD unter einen Hut kriegen muss, liegen deutlich auseinander. Auf einen Antrag des verteidigungspolitischen Sprechers Rüdiger Lucassen, der die Wiedereinführung der alten Wehrpflicht fordert, reagierten die fraktionsinternen Gegner mit einem dreiseitigen Beschlussantrag. Prinzipiell, heißt es darin, sei man für die Wehrpflicht, aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Das Thema solle frühestens ab einem Friedensschluss in der Ukraine wieder aufs Tableau kommen. Zu den Antragstellern gehören mehrere Abgeordnete aus Bayern. Das wundert nicht: In diesen Fragen orientiert sich die Bayern-AfD gern an Höckes Osten.

Bayerns Landeschef Stephan Protschka zählt nicht zu den Antragstellern, teilt aber deren Bedenken bei diesem „heißen Thema“. Grundsätzlich sei er für die Wiedereinführung der Wehrpflicht, sagte er unserer Zeitung, „aber nicht unter dieser Regierung“. „Ich will keine deutschen Soldaten mit Waffen in fremden Kriegsgebieten.“ Er sorge sich, „dass Merz, Wadephul und Pistorius die Bundeswehr zur Angriffsarmee machen“.

Mindestens so schwer wie das Misstrauen in die Regierung wiegt in diesem Teil der Partei ein taktisches Argument. Gerade im Osten fürchtet man, mit der Wehrdienstdebatte diejenigen zu verprellen, die zuletzt überdurchschnittlich AfD gewählt haben: junge Männer. Es gebe ein „hohes Risiko“, die „uns zugeneigten jüngeren Wählergruppen wieder zu gefährden“, heißt es in dem Antrag. Überhaupt: „Einen Wettbewerb mit der Union, wer der bessere Wehrpflichtbefürworter ist, wird die AfD verlieren!“

Die Kehrseite ist eben die: Im Kriegsfall stünde Deutschland wehrlos da. Der ehemalige Bundeswehr-Offizier und heutige AfD-Abgeordnete Gerold Otten hat für die Bedenken seiner Kollegen nur bedingt Verständnis. „Wir müssen dringend unsere Verteidigungsfähigkeit wiederherstellen“, sagt er. Die personellen Lücken bei der Truppe seien gravierend. „Wir dürfen bei diesem wichtigen Thema nicht abtauchen.“

Vorerst aber passiert genau das. In den nächsten Tagen sollen die zuständigen Arbeitskreise in der Fraktion eine Kompromisslösung suchen.

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