Berlin – Der von Kanzler Friedrich Merz versprochene „Herbst der Reformen“ ist bislang vor allem ein Herbst schwarz-roter Streitereien. Um zumindest einige davon auszuräumen, trafen sich gestern Abend bis spät in die Nacht die Koalitionsspitzen.
Beim Bürgergeld deutete sich dabei schon vorher ein Kompromiss an. Diese Woche solle der Knoten durchschlagen werden, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, in Berlin. „Wir stehen jedenfalls kurz davor.“ Lediglich einzelne Punkte wie die Frage, wann ein kompletter Entzug des Regelsatzes möglich sein soll, galten am Mittwoch noch als offen. Auch über das Schonvermögen, bis zu dem der Privatbesitz unangetastet bleibt, bestand noch Gesprächsbedarf. Klar ist, dass sich die rund 5,5 Millionen Bezieher auf strengere Auflagen und Sanktionen einstellen müssen. Merz zeigte sich überzeugt, dass eine Einigung bis „nächste Woche spätestens“ gelingen könne.
Nur einen Tag nach dem Koalitionsausschuss lädt Merz Branchenvertreter und Gewerkschaft zu einem Autogipfel ins Kanzleramt – und braucht eigentlich eine geeinte schwarz-rote Linie in wichtigen Fragen. Die deutsche Schlüsselbranche hat mit Absatzflaute, Konkurrenz aus China und Schwierigkeiten beim Wandel zur Elektromobilität zu kämpfen. Im Fokus steht auch der Umgang mit dem für 2035 geplanten Aus für neue Verbrenner-Fahrzeuge in der EU, für das jetzt Überprüfungen anstehen. Die Union will das Verbrenner-Aus kippen – die SPD aber daran festhalten. Partei-Co-Chefin Bärbel Bas äußerte sich trotz großer Differenzen im Vorfeld überraschend zuversichtlich. Darüber werde im Koalitionsausschuss beraten. „Und dann wird es auch zu einer politischen Einigung kommen.“
Mit dem schuldenfinanzierten Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur will die Koalition kräftigen Schwung in die Erneuerung vieler maroder Straßen und Schienen bringen. Doch dann kamen plötzlich Signale aus dem Verkehrsministerium, dass wichtige Aus- und Neubauprojekte bis 2029 wackeln, weil dafür ein Finanzierungsloch klafft.
Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Aktiv-Rente sieht vor, dass Erwerbstätige nach dem Renteneintrittsalter bis zu 2000 Euro steuerfrei hinzuverdienen können. Die Union will diesen Betrag auch vom Progressionsvorbehalt ausnehmen. Dieser führt dazu, dass auch steuerfreie Beträge die Steuerlast erhöhen, weil der Steuersatz wegen des höheren Gesamteinkommens steigt. Würde Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) auf den Progressionsvorbehalt verzichten, müsste er entsprechende Steuerausfälle einplanen.DPA/AFP