„Verunsichern, vielleicht sogar verwirren“: Wolffsohn. © Trobitz
München – Keine Frage: Wer eine Palästina-Demo am 7. Oktober anmeldet oder besucht, dem geht es in erster Linie wohl nicht um das Leid der Menschen in Gaza. Der möchte auf andere Art an die brutalen Anschläge der radikalislamischen Terrormiliz Hamas auf Zivilisten in Israel am 7. Oktober 2023 erinnern.
Da wundert es also nicht, dass am Dienstagabend auf dem Münchner Odeonsplatz eine Parole wie „There is only one State – Palestine 48“ skandiert wird, die der einzigen Demokratie im Nahen Osten das Existenzrecht abspricht. Auf dem Weg ins Theater sind auch andere Sprechchöre, noch menschenfeindlichere, zu hören. Zur Sicherheit ist daher die Polizei präsent vor dem nur wenige hundert Meter entfernten Marstall des Bayerischen Staatsschauspiels.
Wer dann die Taschenkontrolle am Eingang (eine absolute Seltenheit bei einem Theaterbesuch) hinter sich gebracht hat, erlebt das Gegenteil zum Gegröle auf dem Odeonsplatz: einen leisen, nachdenklichen, klugen und zutiefst menschlichen Abend. Eine Wohltat für Herz und Hirn, gerade an einem solch traurigen Jahrestag.
Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn denkt auf der leeren Bühne gemeinsam mit der Schauspielerin Barbara Horvath und deren Kollege Michael Goldberg über die Frage „Nahost: Ewig Krieg?“ nach. 75 Minuten lang gilt: „Information statt Agitation“. Kaum hat Wolffsohn an seinem Tisch in der Bühnenmitte Platz genommen, verspricht er dem Publikum: „Wir werden Sie heute Abend verunsichern, vielleicht sogar verwirren.“
Das freilich ist eine charmante Übertreibung. Gewiss, das Trio hat eine Menge an Fakten zum Nahen Osten zusammengetragen. Doch der pointierte Vortrag, seine mitunter lässigen Dialoge, das Pingpong aus Frage-Aussage-Nachfrage und die eingeblendeten Fotos, Karten, Schaubilder machen es den Menschen (darunter viele junge) im ausverkauften Saal leicht, den historischen Spuren zu folgen. Lohnenswert ist es allemal. Ausgang ist freilich die Gegenwart, ist der „antijüdische Tsunami“, der nach dem 7. Oktober 2023 weltweit den Judenhass an die Oberfläche gewirbelt hat, gerade auch in scheinbar progressiven, akademischen Kreisen. Wolffsohn setzt jenen Kolleginnen und Kollegen sowie allen selbsternannten Nahost-Experten nun analytische Schärfe, einen präzisen Blick auf die Fakten und nicht zuletzt „Sachlichkeit, vor allem Menschlichkeit“ entgegen.
Zwar nicht bis zu Adam und Eva – dennoch weit zurück in die Geschichte blicken die drei, zeichnen Migrationsbewegungen nach, beleuchten die Taktiken des Guerillakriegs, schildern verpasste und verweigerte Chancen. Dabei wird die Produktion nie einseitig, ist „nicht Stammtisch, nicht das übliche Schwarz-Weiß“. So hat der Abend eigentlich nur einen Fehler. Es ist – bislang – keine Wiederholung geplant.MICHAEL SCHLEICHER