„Kemi, Kemi“-Rufe – aber ein in Wahrheit stark wackelnder Platz an der Parteispitze: Tories-Chefin Badenoch in Manchester. © Paul Ellis/AFP
Manchester – Dreht sich die „Eiserne Lady“ im Grab um? Was Margaret Thatcher von der aktuellen Situation ihrer Konservativen Partei, die sich in diesen Tagen in Manchester zum Parteitag traf, halten würde, bleibt Spekulation. Doch Parteiveteran und ehemaliger Brexit-Minister David Davis, der gerne Anekdoten zum Besten gibt, ist sich sicher, dass die frühere Premierministerin kurz vor ihrem 100. Geburtstag unter der Erde rotiert.
Das Drama: Die ehrwürdige Tory-Partei ist in den Umfragen weit abgeschlagen hinter der rechtspopulistischen Reform-Partei und den regierenden Sozialdemokraten von Labour. Im britischen Direktwahlsystem, das auf der Rivalität von zwei großen Parteien basiert, könnte sich das für die Konservativen als schicksalshaft herausstellen. Die Partei, die wie keine andere die Geschicke im 20. Jahrhundert dominierte, steht davor, in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. „Die Konservativen könnten ihre Rolle als bedeutende Regierungspartei verlieren“, warnte jüngst Professor John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow, der als Großbritanniens wichtigster Umfrageexperte gilt.
Verloren haben sie ihre Wählerschaft vor allem an die Rechtspopulisten von Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage, der derzeit auf dem Kurs ist, nächster britischer Premier zu werden. Farage, der schon das Referendum um den EU-Austritt mit seinen Anti-Einwanderungs-Parolen anheizte, setzt weiter mit Erfolg auf das Thema Migration. Und er überzeugt nicht nur viele Wähler mit seinem Kurs. Knapp zwei Dutzend konservative Gemeinderäte haben schon verkündet, dass sie zu ihm überlaufen.
Entsprechend fährt Tory-Chefin Kemi Badenoch Geschütze auf. „Wir müssen die Geißel der illegalen Migration nach Großbritannien bekämpfen und unsere Grenzen sichern“, poltert sie zum Auftakt des Parteitags. Sie kündigt an, 150 000 Menschen pro Jahr mit Methoden nach dem Vorbild der US-Migrationsbehörde ICE abzuschieben. Zudem will sie das Land aus der Europäischen Menschenrechtskonvention führen, um zu verhindern, dass weiterhin Abschiebungen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg scheitern.
Ob die Konservativen ihren Platz an der Sonne so zurückerobern können, bezweifeln Experten. Kompetenz wird ihnen vor allem beim Thema Wirtschaft zugetraut. „Ich denke, die Reform-Wähler lassen sich kaum noch zurückgewinnen“, sagt Politik-Professor Anand Menon vom King‘s College London im dpa-Interview. Die Konservativen müssten eher versuchen, Wähler von der anderen Seite des konservativen Spektrums anzusprechen, findet er. Gemeint sind Wähler aus der bürgerlichen Mitte, proeuropäisch gesinnt.
Doch von ihnen hat sich die Partei schon weitgehend unter Boris Johnson verabschiedet, der mit einem kompromisslosen Brexit die EU-Skeptiker aus verschiedenen politischen Lagern hinter sich vereinte. Diese Wähler sind nun größtenteils zu Reform abgewandert. „Euer Problem ist jetzt, dass ihr im Grunde weder die proeuropäische noch die antieuropäische Position besetzt“, konstatiert Meinungsforscher Curtice.
Doch obwohl sie mit „Kemi, Kemi“-Rufen und viel Applaus gefeiert wird, gilt es als zweifelhaft, ob Badenoch noch lange an der Spitze der Konservativen stehen wird. Sollten die Umfragewerte nicht besser werden, könnte sie bald schon Geschichte sein. Ein Herausforderer ist schon in den Startlöchern: Ex-Staatssekretär für Migration Robert Jenrick will sich die Politik von US-Präsident Donald Trump zum Vorbild nehmen, wie er bei seiner Parteitagsrede deutlich machte. Er unterlag Badenoch nur knapp im Rennen um die Parteiführung im vergangenen Jahr und gilt als aussichtsreichster Kandidat für ihre Nachfolge.