Wehrpflicht: Koalition stoppt „faulen Kompromiss“

von Redaktion

Scharfe Widerworte von Verteidigungsminister Pistorius – Auch Söder äußert Skepsis bei Losverfahren

Boris Pistorius (SPD) bei einem Truppenbesuch. © AFP

Berlin – Nach allem, was am nächsten Tag zu hören ist, muss es eine ungemütliche SPD-Fraktionssitzung gewesen sein am Dienstag. Hinter verschlossenen Türen beraten die Abgeordneten den Kompromissvorschlag zur Wehrpflicht: keine Pflicht-Musterung für alle, sondern ein Losentscheid; bei Bedarf nochmal ein Losentscheid dazu, wer eingezogen wird. Ein Redner nach dem anderen meldet sich mit Kritik zu Wort. Ein Abgeordneter erinnert, so schildert es die „SZ“, an die Serie „Tribute von Panem“, wo Teenager ausgelost werden, um sich bis zum Tod in einer Arena zu bekämpfen. Mehrere kündigen an, dagegen zu stimmen. Schließlich macht auch Verteidigungsminister Boris Pistorius schwere Bedenken geltend.

Von einem „faulen Kompromiss“ spricht der Minister und populärste SPD-Politiker, das ist verbrieft. Weitere noch schroffere Worte werden nicht bestätigt, „Bild“ schreibt von einem „Wutausbruch“, andere sogar von Tränen bei Fraktionsvize Siemtje Möller, die den Kompromissvorschlag ausgehandelt hatte. Jetzt versucht die Koalition Schadensbegrenzung.

Tränen habe er nicht gesehen, sagt Pistorius am Mittwoch vor Journalisten. Aber ja, er habe „erhebliche Bedenken“ bei diesem Modell. Der Minister will nicht losen, sondern will ab 1. Juli 2027 ganze Jahrgänge mustern, bis zu 300 000 junge Männer pro Jahr. So stand es in seinem ursprünglichen Gesetzentwurf zur Wehrpflicht ja mal drin. Nun verhandle man neu, das dauere einige Tage länger, sei aber „überhaupt kein Schaden“. Ziel bleibe, dass das Gesetz zum 1. Januar gilt.

Union und SPD sortieren sich jetzt. Vermutlich geht das Gesetz heute zwar in die erste Beratungsrunde im Bundestag. Ehe Runde zwei und drei folgen, bleibt aber am 10. November Zeit für eine Experten-Anhörung, in der Musterung und Los-Idee wissenschaftlich, militärisch und verfassungsrechtlich hinterfragt werden.

In der Union gibt es noch Unterstützer der Los-Idee, darunter energisch CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann. Das sei „eine tragfähige Brücke zwischen Freiwilligkeit und einem verbindlichen Pflichtelement“, findet er. Skeptischer äußert sich sein Parteivorsitzender. Markus Söder sagt, ein Losverfahren als alleiniges verpflichtendes Element sehe er „noch etwas zurückhaltend, vielleicht lassen sich noch andere nachvollziehbare Elemente finden“.

Die Opposition reagiert mit scharfer Kritik auf den Wehrpflicht-Streit. „Die Bundeswehr ist doch keine Losbude, der Wehrdienst keine Lotterie“, sagt Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. Die Koalition agiere „total amateurhaft“. „Es ist makaber, über Losverfahren zu entscheiden, wer zur Armee muss“, erklärt Linken-Chef Jan van Aken. „Es ist praktisch Russisch Roulette: Wer Pech hat, muss in den Krieg, muss sterben.“ Die AfD spricht von „Wehrpflicht-Chaos“ in der Koalition. CD/AFP

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