Sie haben nur die Macht der Worte: Frank-Walter Steinmeier und Alexander Van der Bellen nutzen sie unterschiedlich. Hier sehen sie sich in Wien. © Askin Kiyagan/dpa
Wien/München – Es war ein Moment, in dem die halbe Welt fassungslos auf das kleine Land starrte. Und der Präsident fand klare, drastische, einprägsame Worte an jenem Mai-Abend 2019. „Bitte wenden Sie sich nicht angewidert von der Politik ab“, sagte Alexander Van der Bellen in die Kameras. Er entschuldige sich „für das Bild, das die Politik bei uns gerade hinterlassen hat“. Man möge bitte nicht mit „Es sind eh alle gleich“ reagieren. „So sind wir nicht. So ist Österreich nicht.“
Ein Staatsoberhaupt als Klartexter: Was Österreich in jenen Tagen erlebte nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos, das eine Regierung zu Fall brachte, hat das Bild von Van der Bellen geprägt. Er gilt als einer, der in schwierigsten Situationen eine emotionale, aber immer würdevolle Sprache wählt. Mancher in Deutschland fragte sich: Was würde unser Bundespräsident in solch einer Lage sagen, fände er ähnliche Worte? Vermutlich zweifeln selbst die größten Steinmeier-Freunde daran. Die Sehnsucht nach einem obersten Repräsentanten, der eine bürgernahe Sprache spricht, ist in Deutschland spürbar gewachsen.
Ab heute kann man beide Präsidenten drei Tage lang recht gut nebeneinander vergleichen. Der Deutsche Frank-Walter Steinmeier reist zum Staatsbesuch zu Van der Bellen nach Wien. Das ist etwas Besonders, der erste seit 28 Jahren. Es beginnt am Dienstag mit militärischen Ehren in Wien, Besuch beim Nationalrat und im Rathaus, es folgt ein Staatsbankett. Tag 2: Treffen mit jungen Menschen, Besuch im Neubau der Deutschen Botschaft und bei Rheinmetall MAN. Der Donnerstag führt Steinmeier (mit Ehefrau Elke Büdenbender) und van der Bellen nach Innsbruck. Dort in der Altstadt folgt ein Abschiedsgruß der Tiroler Schützenkompanie.
Der Deutsche (69), der SPD entstammend und seit 2017 Bundespräsident, Amtszeitende 2027 – der Österreicher (81), früher ein Jahrzehnt Grünen-Chef und seit ebenfalls 2017 im Amt bis Ende 2028: Menschlich kommen beide gut klar. Als „persönliche Freunde“ beschrieb das Steinmeier sogar. Sie sehen sich regelmäßig. In Deutschland wurde wohlwollend aufgenommen, dass Van der Bellens erste Auslandsreise nach den Corona-Lockdowns und den Nachbar-Kontroversen direkt nach Berlin führte. Inhaltlich muss man bei Differenzen schon genauer hinschauen: Steinmeier hängt sein früherer Russland-Kurs noch nach, Van der Bellen war und ist flammender Ukraine-Unterstützer. Beide Oberhäupter teilen aber einen klar proeuropäischen Kurs. Das zeigt sich auch in einem gemeinsamen Grundsatzpapier, das Steinmeier und Van der Bellen am Sonntag publizierten.
Darin fordern sie Europa auf, sich neu zu erfinden. „Wenn wir untätig zuschauen oder nur beim Blick zurück verharren, droht das Feuer der europäischen Idee im Sturm zu erlöschen.“ In der griffigen Wortwahl klingt das nach Van der Bellen – in der vagen Detaillosigkeit nach Steinmeier. Die Vorschläge bleiben nämlich sehr im Allgemeinen. Europa müsse seine Verteidigungsfähigkeit stärken, solle auch Großbritannien und Norwegen einbinden. Es müsse seine „innere Verfassung stärken“, sich aber auch „auf das Wesentliche konzentrieren“.
Wolkig wird es auch in den handfesten Streitfragen bleiben; die gehen zu sehr ins Detail, als dass sich ein Bundespräsident dazu öffentlich einließe. Der Streit um die deutschen Grenzkontrollen ist noch nicht ausgestanden. Auf beiden Seiten der Grenze wogt zudem heißer Zorn über die Verkehrspolitik. Bayern empfindet die Tiroler Blockabfertigung für Lkw als plumpe und bewusste Schikane. Österreich empfindet den verzögerten Schienen-Zulauf zum Brenner-Basistunnel auf deutscher Seite als verantwortungslose Trödelei.
Zumindest in dieser Frage wird es doch ein paar öffentliche Sätze geben. Vielleicht auch Steinmeiers Mahnung, in Deutschland schneller zu planen und zu bauen. Beide Präsidenten haben am Donnerstag nämlich den passenden Termin: Sie besuchen die Baustelle des Brenner-Basistunnels.