Ein Globus für den Außenkanzler: Winfried Kretschmann überreicht Friedrich Merz ein Geschenk. © Marijan Murat/dpa
Stuttgart/München – Der Kanzler kommt mit Lob und Scherz. Baden-Württemberg sei das Land, „das wahrscheinlich am meisten geprägt ist von Mittelstand, Industrie und Innovation“, sagt Friedrich Merz bei seiner Ankunft in Stuttgart. „Das wird der Markus Söder jetzt nicht so gerne hören. Aber vermutlich ist es so.“
Am Dienstag hat Merz seinen Antrittsbesuch im Bundesland absolviert, der siebte von 16. Viele freundliche Worte, viel Händeschütteln, vor allem das Lob in Abgrenzung von den bayerischen Rivalen kommt gut an. Doch im freundlichen Antritt steckt auch mehr als nur ein Hauch von Abschied. Denn empfangen wird Merz (fast 70) von Winfried Kretschmann (77), dem aufs Amtszeit-Ende zusteuernden Chef im Südwesten. Es ist wohl der letzte Kanzler, den Kretschmann in seiner Villa Reitzenstein, dem Regierungssitz, empfängt. Und das vorerst letzte Mal, dass Merz von einem grünen Regenten empfangen wird.
Baden-Württemberg steht nämlich knapp viereinhalb Monate vor der nächsten Landtagswahl, und alles sieht nach einem Regierungswechsel aus. In den jüngsten Umfragen, darunter die als seriös geltende Infratest-dimap-Erhebung für SWR und „Stuttgarter Zeitung“, führt die CDU. Tendenz leicht sinkend, doch noch immer liegt sie mit 29 Prozent vor Kretschmanns Grünen (20), weit vor der SPD (10), Linken (7), FDP (5) und BSW (3). Knapp auf Platz 2: die AfD (21).
Kretschmann geht. Kommt Hagel?
Der Südwesten sortiert sich neu, auch personell. Kretschmann hat in Ruhe und selbstbestimmt nach anderthalb Jahrzehnten seinen Rückzug eingeläutet. Die Grünen treten mit Ex-Bundesminister Cem Özdemir (59) als Spitzenkandidat an, ohne Amtsbonus. Auch die Union ist neu formiert. Manuel Hagel, ihr mit 37 Jahren noch junger Fraktionschef, will Ministerpräsident werden. Die Wechselstimmung ist aber wackelig. Nach 15 Jahren grüner Führung wollen 40 Prozent eine CDU-Regierung, 29 Prozent eine grüne, 21 Prozent eine von der AfD. Im Fall einer Direktwahl – die es nicht gibt – würde Özdemir allerdings mit 41:17 vor Hagel führen.
Schwarz-Grün ist in den Umfragen derzeit die einzige realistische Konstellation. Doch auch die Lage der kleineren Parteien ist spannend. Der Einzug der Linken wäre eine dicke Überraschung. Gleichzeitig kämpft die FDP in ihrem Stammland ums Überleben. In Baden-Württemberg auch noch rauszufallen, würde den Liberalen das restliche Wahljahr (Rheinlandpfalz am 22. März, Sachsen-Anhalt am 6. September, Berlin sowie Mecklenburg-Vorpommern jeweils am 20. September) verhageln.
Bei den Wahlkampf-Themen liegt Migration vorn, für ein Viertel ist das laut Infratest am wichtigsten, gefolgt von Bildung, dem rein landespolitischen Thema. Schlechte Ergebnisse bei Schulvergleichstests schrecken das Ländle auf. Vom „Abstieg als Bildungsland“ schrieb die „Stuttgarter Zeitung“ letztes Jahr, kommentierte eine „Bilanz des Versagens“. Kultusministerin ist seit 2021 Theresa Schopper, früher bayerische Grünen-Chefin.
Immer prägender wird für den Wahlkampf die Auto- und Zuliefererkrise. In rascher Folge gaben Bosch, Daimler Trucks und ZF die Streichung von fast 30 000 Jobs bekannt. „Autoland ist abgebrannt“, titelte die „FAZ“ vor vier Wochen düster. Für Hagel ist der Kampf gegen das Verbrenner-Aus in der EU inzwischen ein Schlüsselthema. Hauptrivale auf diesem Politikfeld ist unausgesprochen die AfD. Bei der Landtagswahl 2021 holte die AfD unter Arbeitern 26 Prozent, die Union nur 23 – so ähnlich lässt sich das an etlichen Autostandorten bundesweit beobachten, auch etwa im BMW-Umfeld in Niederbayern. Übrigens empfiehlt auch Özdemir, den Verbrenner-Ausstieg 2035 aufzuweichen.
Kretschmann wirbt bei Merz am Dienstag um frisches Geld – um den Zuschlag für eine KI-Gigafactory. Ein Konsortium aus Baden-Württemberg, rund um die Gruppe des Lidl-Gründers Dieter Schwarz, bewerbe sich mit der vollen Unterstützung der Landesregierung bei der EU um den Zuschlag für eine solche Fabrik, sagt der Ministerpräsident. „Wir bieten mit unserem KI-Ökosystem dabei das ideale Umfeld.“ Das „Cyber Valley“ in Tübingen und das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart wollen da mitmischen. Hier wird Merz allerdings einsilbiger. Fünf Konsortien aus Deutschland hätten sich insgesamt in Brüssel beworben. Darunter auch seit Juni Bayern. Dass Merz hier schweigt, das dürfte Markus Söder gerne hören.