Ein Rat unter Freunden? Die Kanzler Friedrich Merz und Christian Stocker. © Macdougall/AFP
Wien/München – Noch bevor die drei Parteien überhaupt ihre Zusammenarbeit verkündeten, haben die Österreicher ihr schon einen Namen verpasst: die Zuckerl-Koalition – weil das Dreierbündnis zwischen der konservativen ÖVP (türkis), sozialdemokratischen SPÖ (rot) und den liberalen Neos (gelb) so schön bunt ist.
Nach gut sieben Monaten Regierungszeit zieht Kanzler Christian Stocker (ÖVP) jetzt Bilanz zur geräuschlosen Zuckerl-Zusammenarbeit. Und die funktioniert nur, weil die Koalition ein bisher funktionierendes Anti-Streit-Rezept besitzt, verrät Stocker. „Wir gönnen einander Erfolge“, erklärt der Regierungschef im dpa-Interview. Die Unterschiede zwischen den Dreien seien etwa in der Wirtschafts- und Migrationspolitik sehr deutlich. „Wir haben aber gesagt, das halten wir jeweils aus, solange es dem Land grundsätzlich hilft – auch wenn es ideologisch vielleicht nicht die erste Wahl ist.“
Seit Amtsantritt hat die Regierung unter anderem auf Drängen der ÖVP einen schärferen Kurs in der Migrationspolitik beschlossen, auf Initiative der SPÖ Maßnahmen bei den Mietpreisen ergriffen und wegen der Neos Akzente in der Bildungspolitik gesetzt. Geprägt ist die Arbeit der Dreier-Koalition vor allem von einem erheblichen Budgetloch.
Der Zuspruch der Bevölkerung hält sich aber in Grenzen, die rechte FPÖ führt in Umfragen deutlich. „Die Stimmung im Land ist nicht gut. Sie steht aber nur bedingt mit der Realität im Einklang“, sagt der 65-jährige Regierungschef. Es dominiere in der öffentlichen Wahrnehmung der Blick auf alles, was nicht gut läuft. Befeuert werde die schlechte Stimmung durch die FPÖ. „Mein Anliegen ist, dass wir diese Geschichte so erzählen, dass auch Optimismus und Zuversicht entstehen können“, sagt Stocker.
„Wir gönnen einander Erfolge“, sagt Stocker
Mehr Optimismus, mehr Zuversicht hat auch schon Kanzler Friedrich Merz den Deutschen verschrieben. Denn auch wie sein österreichischer Amtskollege hat der Regierungschef mit einer erstarkenden rechtspopulistischen Partei und sinkenden Zustimmungswerten zu kämpfen. Im jüngsten Sonntagstrend des Meinungsforschungsinstituts Insa kommt die schwarz-rote Koalition von Union und SPD nur noch auf 39 Prozent der Zustimmung. Die AfD verliert laut der Erhebung für die „Bild am Sonntag“ zwar einen Prozentpunkt im Vergleich zur Vorwoche, bleibt mit 26 Prozent aber stärkste Kraft.
Zunehmend unzufrieden sind die Befragten demnach mit der Arbeit der Bundesregierung: 66 Prozent sehen diese kritisch – ein Anstieg von drei Prozentpunkten. Mehr noch: 49 Prozent aller Befragten rechnen damit, dass die derzeitige Regierung nicht die komplette Legislaturperiode bis 2029 bestehen bleiben wird.
Doch trotz der ähnlichen Ausgangslage hält Österreichs Kanzler Stocker einen Vergleich der FPÖ mit der AfD nur für bedingt zulässig. Die FPÖ gehöre in der Alpenrepublik schon seit 70 Jahren zu den etablierten Parteien. „Die FPÖ war immer Teil des demokratischen Systems in Österreich.“ Eine Brandmauer gegenüber den Rechtspopulisten existiert daher nicht. „In Österreich haben wir uns dafür entschieden, über eine Zusammenarbeit von Fall zu Fall, von Ebene zu Ebene zu befinden.“
Für Stocker ist in der Migrationspolitik der Unterschied zwischen ÖVP und FPÖ klar. „Die FPÖ verspricht das Unmögliche, nämlich null Asylanträge anzunehmen. Wir wollen – wie inzwischen viele in Europa – die illegale Migration gegen null bringen.“
Auch die deutsche Bundesregierung hat mit ihrem Amtsantritt im Mai ihre Migrationspolitik verschärft – inklusive strikter Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylbewerbern. Die deutschen Grenzkontrollen seien derzeit leider nötig, findet auch Stocker.
Die Stimmung in der schwarz-roten Koalition aber ist stets angespannt – zu viele Differenzen. Vielleicht hilft da ein Anti-Streit-Rezept nach österreichischem Vorbild. DPA, MM