Merz‘ heikle Türkei-Mission

von Redaktion

Eine gute Beziehung ist fast schon Pflicht: Bundeskanzler Friedrich Merz (r.) trifft heute in Ankara den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. © Kay Nietfeld/dpa

München – So netten Besuch aus Berlin hatte man in Ankara lange nicht. Johann Wadephul schwärmte geradezu von den vielen Verbindungen zwischen Menschen, Wirtschaft und Kultur beider Länder. Die Türkei sei nicht nur ein „strategischer Partner in all unseren außenpolitischen Belangen“, sondern auch ein „guter Freund“, sagte er vor kaum zwei Wochen. Es klang, als wäre das schon immer so gewesen.

Das fiel auf, denn das Verhältnis beider Länder galt lange als belastet: Vor allem Wadephuls Vorgängerin Annalena Baerbock nahm kein Blatt vor den Mund, knöpfte sich ihren türkischen Kollegen teils vor laufenden Kameras vor. Grund zu scharfer Kritik gäbe es auch jetzt. Der Umgang mit der türkischen Opposition, vor allem ihrem Star Ekrem Imamoglu, wäre zu anderen Zeiten einen mittleren Proteststurm wert gewesen. Doch die Gewichte haben sich im politischen Berlin verschoben. Wadephul sprach Imamoglu nicht an.

Auch der Kanzler wird sich wohl an den freundlichen Ton halten, wenn er den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan heute zum Antrittsbesuch trifft. Die beiden Männer kennen sich bisher nur flüchtig, dafür wissen sie genau, was sie voneinander zu erwarten haben. Das Interesse an Zusammenarbeit ist auf beiden Seiten groß, das an öffentlichem Gerangel nicht vorhanden.

Merz‘ bestes Argument für entspanntere Beziehungen: Die Türkei hat sich in den vergangenen Monaten als Vermittler in internationalen Krisen quasi unverzichtbar gemacht. Im Gaza-Krieg gab sie zwar oft den Terroristen-Anwalt, letztlich aber war ihr Draht zur islamistischen Hamas von Nutzen. Mit Blick auf die Ukraine ist die Türkei eines der wenigen Länder, das sowohl zu Kiew als auch zu Moskau intakte Beziehungen hat. Mehrmals schon fanden in Istanbul Verhandlungen statt. Bei der Neuordnung der Verhältnisse in Syrien, die aus Berliner Sicht schon der Migrationsfrage wegen hochrelevant ist, spielt Erdogan ebenfalls eine wichtige Rolle.

Der 71-Jährige hofft seinerseits darauf, vom Rüstungsboom in Europa zu profitieren. Bislang stellt sich Griechenland gegen ein Mitwirken der Türkei am 150-Milliarden-Euro-Rüstungsprogramm Safe. Erdogan spekuliert darauf, dass Merz hier Vermittler spielen könnte.

Die Hoffnung kommt nicht von ungefähr. Einen lange gehegten Wunsch hat der deutsche Kanzler seinem autokratisch regierenden Gegenüber jedenfalls schon vor einiger Zeit erfüllt. Im Sommer gab die Regierung den Widerstand gegen die Lieferung von 20 Eurofighter-Jets an Ankara auf, nachdem die Ampel das Anliegen lange blockiert hatte. Anfang dieser Woche, beim Besuch des britischen Premiers Keir Starmer in Ankara, machte Erdogan den Deal fix.

Der türkische Staatschef dürfte deshalb eine gewisse Grundsympathie für Merz hegen. Das wäre schon per se eine neue Situation. Mit Angela Merkel und Olaf Scholz konnte er nicht besonders – andersherum galt das im Übrigen auch.

Eine Frage drängt sich trotzdem auf: Kann Merz sich kritische Worte zum Zustand der Demokratie in der Türkei wirklich ganz verkneifen? Die Art und Weise, wie Erdogan sich seinen einzigen ernst zu nehmenden Gegner derzeit vom Halse schafft, lässt sich eigentlich kaum beschweigen. Gerade erst hat die Justiz, die Erdogan gewogen ist, neue Vorwürfe erhoben: Istanbuls abgesetzter Bürgermeister Ekrem Imamoglu soll nun auch noch ein Spion sein. Nicht nur in dessen Partei CHP hält man das für völlig absurd. Die Bundesregierung kommentierte den neuen Haftbefehl trotzdem auffällig zurückhaltend.

Ein wenig Druck kommt vom Koalitionspartner. Brisante Punkte wie dieser müssten „selbstverständlich zur Sprache gebracht werden“, fordert Ralph Stegner (SPD). Parteichef Lars Klingbeil hatte schon Imamoglus Verhaftung im März als „schweren Angriff“ auf die Demokratie verurteilt. Allzu viel Nähe zwischen Merz und Erdogan sähe man in der SPD nicht wirklich gern.

Die Mission des Kanzlers: fraglos schwierig – und enorm wichtig. Wie sehr, das zeigt eine besondere Begleiterin: Ehefrau Charlotte ist mit nach Ankara gereist. Das ist ungewöhnlich und umso mehr ein Signal. Ein Routinebesuch ist das nicht.

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