Bündnis ohne Wagenknecht?

von Redaktion

Das prominente Gesicht der Partei: BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht könnte sich zurückziehen. © SCHLUETER/afp

München – Trotz der kühlen Februar-Temperaturen stehen die Menschen draußen Schlange. Bis um die Ecke und noch weiter. Der Andrang im Passauer Wirtshaus Öller ist so groß, dass sich Schaulustige später sogar im Wintergarten tummeln, um dem Star der Polit-Manege möglichst nah zu sein.

Es ist Sahra Wagenknechts erster politischer Auftritt als Parteivorsitzende ihrer neuen Partei – und der findet ausgerechnet in Niederbayern beim politischen Aschermittwoch 2024 statt. Das Interesse an ihr ist groß. Wagenknecht kennt man eben. Damals weiß sie noch nicht, dass ihre erste bundespolitische Bewährungsprobe schon in einem Jahr auf sie wartet. Der Bruch der Ampel-Koalition zwingt das noch so junge Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in den Wahlkampfmodus, stellt es vor eine Mammutaufgabe.

Heute, eineinhalb Jahre und eine verlorene Bundestagswahl später, geht es um das politische Überleben der Partei. Denn in dieser Woche stehen umfangreiche interne Beratungen an. Und dabei geht es um ganz Grundsätzliches: die künftige Parteiführung und einen neuen Namen. Doch eine ist bei diesem ganzen Trubel untergetaucht – die Namensgeberin höchstpersönlich.

Schon bei dem Strategietreffen der Parteispitze am Wochenende tauchte Wagenknecht nicht auf. Ein Krankheitsrückfall, heißt es. Wieder Burn-out, wie einst 2019? Wohl nur eine Grippe. So oder so, ob sie sich im Dezember beim BSW-Parteitag in Magdeburg erneut zur Vorsitzenden wählen lässt, ist noch unklar. Vor der Bundestagswahl hatte sie nämlich noch angekündigt, dass dies „auch eine Abstimmung über meine politische Zukunft“ sei.

Das BSW verpasste den Einzug in den Bundestag mit schmerzhaften 4,981 Prozent, das Ergebnis zu einem eingereichten Wahleinspruch steht aus. Wagenknechts Zukunft: unklar. Und damit gewissermaßen auch die Zukunft der Partei. „Ohne Frau Wagenknecht wäre das BSW vorerst am Ende“, sagt Jan Philipp Thomeczek, Parteienforscher von der Universität Potsdam, unserer Zeitung. Die Partei profitiere vor allem von Wagenknechts Prominenz, denn „die Unbekanntheit des Personals ist eines der größten Probleme bei Parteineugründungen“, erklärt Thomeczek.

Die Partei versucht sich also gerade in dem Spagat zwischen hausgemachter Abhängigkeit und notwendiger Emanzipation von Sahra Wagenknecht. So will sie zwar ihr Parteikürzel behalten, BSW soll aber künftig für etwas anderes stehen, losgelöst von ihrer Gründerin. Über 3000 Vorschläge wurden bislang eingereicht, 30 sind in der engeren Auswahl. Der Name „Bündnis für Sicherheit und Wohlstand“ kursiert bereits seit Anfang des Jahres.

Doch wie könnte überhaupt ein Bündnis ohne Wagenknecht aussehen? Thüringens stellvertretende Ministerpräsidentin und BSW-Landesvorsitzende Katja Wolf galt als aufsteigender Stern der jungen Partei. Doch nach Querelen mit Wagenknecht stellt sie sich jetzt auch lieber hinter ihre Parteichefin, sie sei schließlich ein „Identifikationsfels“ mit großer medialer Wirkung.

Auch Constantin Wurthmann, Politikwissenschaftler der Universität Mannheim, sieht gerade „wenige Personen, die in der Lage wären, sichtbar diese Lücke zu füllen“, sagt er unserer Zeitung. „Eine Alternative könnte Fabio De Masi sein, der schon vor dem BSW parteiübergreifend profiliert war.“

Aber auch inhaltlich brodelt es in der Partei. Am Dienstagmittag tritt der hessische BSW-Chef, Oliver Jeschonnek, zurück. Grund dafür seien die innerparteiliche Entwicklung sowie die künftige Ausrichtung der Partei. Für Wurthmann entscheide sich die Zukunft des BSW „maßgeblich am Umgang mit der AfD“, sagt er. Schließlich sei es in der Hoffnung gegründet worden, „den Wählern der AfD eine neue politische Heimat zu geben“. Durch die fehlende scharfe Abgrenzung seien die Wähler aber „doch beim Original geblieben“.

Die nächste BSW-Bewährungsprobe steht schon 2026 an – bei der Wahl von fünf Landesparlamenten. „Mindestens in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern hat das BSW gute Chancen und könnte sogar für eine Koalition gebraucht werden“, sagt Parteienforscher Thomeczek. Ein regionaler Wahlkampf, vielleicht ohne Wagenknecht.

Artikel 1 von 11