Karlsruhe – Wenn in Notlagen die medizinischen Ressourcen knapp sind, müssen Ärzte teils die schwierige Entscheidung treffen, wer zuerst behandelt wird. In der Corona-Pandemie stellte der Bundestag für diese sogenannte Triage im Infektionsschutzgesetz neue Regeln auf. Doch Intensiv- und Notfallärzte sehen einen Konflikt mit ihrem Berufsethos.
Am Bundesverfassungsgericht konnten sich einige von ihnen nun erfolgreich gegen die gesetzlichen Vorgaben wehren. Der Erste Senat gab zwei Verfassungsbeschwerden statt und erklärte die angegriffenen Regelungen für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Sie schränkten die Ärztinnen und Ärzte demnach in ihrer Berufsfreiheit ein. Dem Bund fehle die Gesetzgebungskompetenz für die Regelungen.
Triage beschreibt, dass Ärztinnen und Ärzte in bestimmten Situationen entscheiden müssen, in welcher Reihenfolge sie Menschen helfen. Das Konzept gibt es zum Beispiel bei großen Unglücken mit vielen Verletzten, um meist eine kurzfristige Notlage zu überbrücken. In der Corona-Krise war das Thema angesichts voller Intensivstationen in den Fokus gerückt.
Ärzte berufen sich auf ihr Ethos
Noch zu Pandemie-Zeiten beschloss der Bundestag 2022 eine Neuregelung und kam damit einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nach. Es hatte 2021 entschieden, dass der Staat die Pflicht hat, Menschen vor Benachteiligung wegen einer Behinderung zu schützen. Das Gesetz legte fest, dass über eine Zuteilung „nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ zu entscheiden ist – ausdrücklich nicht nach Lebenserwartung oder Grad der Gebrechlichkeit.
Eine der beiden Beschwerden gegen die Neuregelung war vom Ärzteverband Marburger Bund unterstützt und 2023 von 14 Intensiv- und Notfallmedizinern eingereicht worden. Sie richtete sich unter anderem gegen das im Gesetz geregelte Verbot einer nachträglichen Triage („ex post“) – also, dass die Behandlung eines Patienten mit geringer Überlebenswahrscheinlichkeit abgebrochen wird, um einen Patienten mit besserer Prognose zu versorgen. Der Marburger Bund kritisierte, den Ärzten werde die Möglichkeit genommen, in einer Notlage die größtmögliche Zahl an Menschen zu retten. Durch die Triage-Regelungen würden ihnen Entscheidungen aufgezwungen, „die ihrem beruflichen Selbstverständnis an sich widersprechen und sie in eklatante Gewissensnöte bringen“. Das Bundesverfassungsgericht betonte in seiner Entscheidung die im Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit. Diese gewährleiste, dass Ärzte frei von fachlichen Weisungen seien, und schütze – im Rahmen therapeutischer Verantwortung – auch ihre Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ einer Heilbehandlung.
Der Bund könne sich bei den Vorschriften nicht auf seine im Grundgesetz verankerte Kompetenz zur Regelung von Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten stützen, erklärte das Gericht. Diese gelte nur für gewisse Maßnahmen, die sich auf die Eindämmung von Krankheiten richteten. Die Triage-Regeln knüpften aber nur an die Auswirkungen einer Pandemie an, dienten aber nicht der Pandemiebekämpfung.