Als vor wenigen Tagen im bayerischen Gundremmingen die Kühltürme des abgeschalteten Kernkraftwerks in sich zusammensackten, war die Reaktion in Politik und Medien nur ein Achselzucken. Die Erben von Angela Merkel schwiegen schuldbewusst. Nicht mal den Grünen war der Abriss des deutschen Atomzeitalters eine Jubelgeste wert. Vielleicht, weil sogar dort die Klügeren kapiert haben, dass es zum Jubeln keinen Grund gibt und auch nicht zur Hoffnung, aus dem Ausstieg noch politischen Profit schlagen zu können. Denn der Wind hat sich gedreht. Die meisten Bürger halten das Atom-Aus heute für einen Fehler. Weltweit erlebt die Kernkraft einen Entwicklungsschub. Trumps USA hängen den Rest der Welt bei der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz auch deshalb ab, weil Tech-Riesen wie Meta und Microsoft die für die Rechenleistungen benötigten ungeheuren Energiemengen aus AKW beziehen, die sie dafür teils wieder in Betrieb nehmen. Und Deutschland? Hat sich auch bei der gewaltigsten technologischen Umwälzung unserer Zeit von der Zukunft verabschiedet. China und die USA sind die KI-Supermächte, sie kontrollieren die Nervenbahnen der digitalen Welt.
Wissenschaftler der Branche, die in Deutschland einst die weltweit sichersten Atommeiler baute, schweigen resigniert. Es spricht für sich, dass es ein eingewanderter indischer Astrophysiker ist, der das in Apathie versunkene Land in einem emotionalen Post wachzurütteln versucht: Er sei vor Jahren in ein pulsierendes Industrieland gekommen und erlebe nun, wie sich dieses durch politische Fehlentscheidungen selbst dezimiere, schrieb Mayukh Panja. Diese Entscheidungen seien von „wenigen wohlhabenden Millennials aus der Großstadt vorangetrieben worden, die sich moralisch überlegen fühlen und dafür gelobt werden wollten, dass sie gute Menschen sind“.
In einer fatalen Mischung aus Wachstumsskepsis, Technikfeindlichkeit und moralischer Selbstgefälligkeit hat ausgerechnet das übermütig gewordene Autoland Deutschland ganz Europa in einen Kulturkampf gegen das Auto getrieben. Begeistert warf man sich auch in Brüssel in Schlachten für das Klima und gegen Kinderarbeit, doch drakonische Umweltsteuern, Verbrennerverbot und Lieferkettengesetz fanden global keine Nachahmer, sondern stürzten nur die eigenen Unternehmen in die Krise. Die Bilanz: Seit sechs Jahren ist die deutsche Wirtschaft nicht mehr gewachsen, allein vergangenes Jahr gingen 50 000 Jobs in der Autoindustrie verloren. Gleichzeitig spaltete eine überzogen liberale Asylpolitik die Gesellschaften. Heute ist der erschöpfte Kontinent ein Spielball der Autokraten Putin, Xi und Trump, von dem es sich Schutz vor dem russischen Imperialismus erbettelt.
Die Sprengung der Kühltürme in Gundremmingen hätte mehr Aufmerksamkeit verdient: als Weckruf, als Symbol für die anhaltende Selbstverstümmelung der Industrienation Deutschland und für den Abstieg des vielstimmigen Europa, des Babylons unserer Zeit. Leider muss man annehmen, dass dieser Abstieg weitergeht, solange die politisch gelähmte EU-Führungsmacht Deutschland keinen Ausweg findet aus der Sackgasse, in die sie sich selbst manövriert hat. GEORG.ANASTASIADIS@OVB.NET