Landrat Jendricke will damit Druck erzeugen. © imago
Berlin/Nordhausen – Nordhausen an einem Novembermorgen um kurz nach sieben Uhr. Über der thüringischen Stadt ist die Sonne noch nicht vollständig aufgegangen, doch uniformierte Beamte des Vollzugsdienstes sind bereits im Einsatz. Ihre Mission: Junge Menschen, die nicht zur Arbeit erschienen sind, aus dem Bett klingeln und persönlich zum Arbeitsplatz begleiten.
Was wie der Albtraum vieler Jugendlicher klingt, ist für einige unter 25-jährige Bürgergeld-Empfänger im thüringischen Landkreis Nordhausen seit Montag Realität. Dort läuft ein dreimonatiges Pilotprojekt, das junge Menschen, die Stütze beziehen und keine Ausbildung haben, zu Arbeit in Werkstätten des gemeinnützigen Vereins Horizont verpflichtet. Die Teilnehmer erhalten dafür einen Stundenlohn von 1,20 Euro zusätzlich zum Bürgergeld.
Landrat Matthias Jendricke (SPD) erklärte gegenüber „Welt“, man wolle mit dieser Maßnahme verhindern, „eine Generation von Faulenzern“ heranzuzüchten. „Wir dürfen die unter 25-Jährigen nicht aufgeben. Wir müssen ihnen Druck machen.“ Dazu gehöre auch, dass bei Leistungsempfängern, die weiterhin nicht zur Arbeit gehen, der Vollzugsdienst des Ordnungsamtes vorbeikomme.
Wer sich verweigert, muss außerdem damit rechnen, dass ihm das Bürgergeld für einen Monat um zehn Prozent gekürzt wird. „Sollte ein Teilnehmer darüber hinaus weitere Pflichtverletzungen begehen, kann nach Sachverhaltsprüfung eine zweite und bei der Fortsetzung der Pflichtverletzungen eine dritte Leistungsminderung eintreten“, erklärte das Landratsamt Nordhausen gegenüber unserer Zeitung.
Aus der Praxis erhält das Projekt Unterstützung: Sozialpädagoge René Kübler leitet den Verein Horizont, bei dem die jungen Bürgergeld-Empfänger nun arbeiten sollen, und begrüßt das Vorgehen des Landratsamts. „Ohne Konsequenzen geht es in der Pädagogik nicht“, sagte er der „taz“. Viele der Betroffenen seien regelmäßige Arbeit nicht gewohnt, deshalb sei die Zeit reif für solche Maßnahmen.
Trotz der drohenden Sanktionen war die Bilanz nach dem ersten Projekttag ernüchternd: Lediglich acht von 30 eingeplanten Teilnehmern erschienen um 7 Uhr zur Arbeit. Fünf weitere wurden vom Vollzugsdienst zu ihren Stellen gefahren. Laut MDR sagten zwei Personen die Teilnahme für den nächsten Tag zu. Im Laufe der Woche verbesserte sich die Quote weiter. Am Donnerstag seien 15 Teilnehmer selbstständig zur Arbeit gekommen, so das Landratsamt.
Mittlerweile zeigten die Teilnehmer „sowohl Freude als auch großes Interesse an ihrer Arbeit“, hieß es weiter. Sie hätten beim Verein Horizont Einblicke in unterschiedliche Berufsfelder wie Holz, Metall und Landwirtschaft erhalten. „Ziel ist es, dass die Teilnehmenden nach der Maßnahme ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aufnehmen beziehungsweise eine Ausbildung beginnen.“
Ob das Projekt nach der dreimonatigen Testphase weitergeführt werde, hänge davon ab, bei wie vielen der jungen Bürgergeldempfänger dies gelinge.SOPHIA BELLIVEAU