Das „süße Gift“ neuer Schulden

von Redaktion

„Sparen ist die moralische Aufgabe für die Zukunft“, sagte einst der junge Markus Söder, Generalsekretär von Edmund Stoiber (r.); das Bild entstand 2004. © SVEN SIMON/pa

München – Es war ein berühmter Auftritt, und ein folgenschwerer. 63 Seiten lang verlas Edmund Stoiber an jenem Novembertag 2003 seine große Spar-Regierungserklärung, vollgepackt mit Reformplänen und Einschnitten. Es werde „unbequem, schmerzhaft, wahrscheinlich auch demonstrationsreich“. Bayern werde „der stabile Fels im Meer der Schulden“ sein. „Sparen, bis es knirscht und kracht“, schrieb unsere Zeitung. Die „SZ“ veröffentlichte eine Karikatur von Stoiber im Schottenrock.

Kritik, Spott, Zorn, aber auch Lob und Respekt: Dieses Echo schlug dem Ministerpräsidenten entgegen, als er Bayerns ausgeglichenen Haushalt begründete. In diesen Tagen denkt die Politik daran zurück: Denn jetzt, 22 Jahre später, wird sich das entweder wiederholen – oder komplett zurückgedreht. Stundenlang saßen gestern Bayerns Minister unter Stoibers Nachnachfolger Markus Söder in Klausur zusammen, um den Doppelhaushalt 2026/27 festzuzurren. Ihr Ziel: Schulden vermeiden. Bis zuletzt galt es in der CSU-Spitze als offen, ob das klappt. Söder wäge harte Sparbeschlüsse ab, war zu hören, schließe Kredite aber nicht aus. Stand am späten Abend: Man versuche es ohne Kredite. Was sagen seine Vorgänger dazu, die den damaligen Kurs mühsam durchsetzten?

Stoiber selbst begleitet die Debatte mit eisigem Schweigen, aber bis ins Detail informiert. Sein einstiger Finanzminister Kurt Faltlhauser (85) warnt in scharfen Worten, man müsse „unter allen Umständen“ am ausgeglichenen Haushalt festhalten. „Es wird nicht ohne Schmerzen und Proteste gehen. Aber man kann das, wenn man will. Und ich kenne die aktuellen Zahlen sehr genau.“

Auch Otto Wiesheu (81) hält daran fest. „Es war seinerzeit eine riesige Kraftanstrengung über mehrere Jahre“, sagt der langjährige Wirtschaftsminister. „Die Schleusen der Neuverschuldung wieder zu öffnen, würde wohl bedeuten, dass sie lange nicht mehr geschlossen werden können“, warnt er. „Die CSU muss sich also genau überlegen, ob sie diesen Markenkern aufgeben will.“ Wiesheus klare Mahnung: „Die Neuverschuldung ist süßes Gift, aber eben Gift.“

Ähnlich äußert sich Christa Stewens (80): „Wir dürfen nicht die Zukunft unserer Enkel verfrühstücken“, warnt die ehemalige Sozialministerin. Sie sei „der Überzeugung, dass der ausgeglichene Haushalt insbesondere bei verbesserten Steuereinnahmen beibehalten werden sollte“. Thomas Goppel (78), einst Wissenschaftsminister, verlangt zumindest eine „eingehende Begründung und Begrenzung“, sollte man den ausgeglichenen Haushalt „an einzelnen Stellen überschreiten“. Auch er sagt: „Ein Bruch des Zieles darf nicht den Damm zum Einsturz bringen.“

Aus dem legendären Stoiber-Kabinett schert einer aus: Erwin Huber (79), Staatskanzleichef zu Reformzeiten und zweimal selbst Finanzminister, sagt: „Ich habe die ‚schwarze Null‘ engagiert und überzeugt vertreten. Das muss für Normaljahre auch weiter gelten. Jetzt haben wir aber Multi-Krisen zu bewältigen wie Verteidigung, Energie, Klima, Digitalisierung, Trump-Zölle und China-Willkür sowie Kommunalfinanzen, da gelten andere Regeln.“ Huber findet sogar, es sei wie beim Bund nicht nur „erlaubt, ich meine sogar geboten, zur Krisenbewältigung Kredite aufzunehmen. Jetzt zu sparen, das verschärft die Krisen und kostet am Ende viel mehr.“ Er rate der Staatsregierung zu pragmatischem, pro-aktiven Handeln und damit auch zum Mut zu Neuschulden. „Das ist nicht Leichtsinn, sondern Verantwortung in schwieriger Zeit.“

Übrigens: Stoibers Sparmaßnahmen wurden im Lauf der Jahre alle zurückgenommen – unter Beckstein, Seehofer, Söder. Zur Erinnerung: Für Beamte wurde die 42-Stunden-Woche, für Studenten Gebühren eingeführt. Man strich das Blinden- und das Büchergeld, stellte das Gymnasium auf G8 um, schaffte das Bayerische Oberste Landesgericht ab, fusionierte die Ministerien für Umwelt und Gesundheit. „Wenn wir jetzt nicht die Kraft für Veränderungen haben, dann werden wir verändert“, dozierte der damalige CSU-Generalsekretär, ein gewisser Markus Söder: „Sparen ist die moralische Aufgabe für die Zukunft.“

Mal sehen, was er heute sagt, wenn er vor die Presse tritt.

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