Ausgerechnet vor dem vierten Kriegswinter wird publik, dass sich einzelne ukrainische Politiker und Geschäftsleute am Energiesektor des Landes bereichert haben. Ist das beunruhigend? Unbedingt. Überraschend? Leider nicht. Die nötige Solidarität mit der Ukraine kann nicht blind machen für die Probleme, mit denen sie im Inneren kämpft. Korruption ist das hartnäckigste.
Der jetzige Skandal hat besondere Wucht, weil Wolodymyr Selenskyj mit im Fokus steht. Dass er die unabhängigen Korruptionsermittler vor wenigen Wochen kurzzeitig an die Leine legte, erscheint jetzt jedenfalls in neuem Licht. War das ein Versuch, jenen Freund zu schützen, der jetzt im Zentrum steht? Die Antwort drängt, wenn Selenskyj nicht vom Strudel der Enthüllungen geschluckt werden will.
Die ukrainische Zivilgesellschaft wird sie im gleichen Maße einfordern, wie sie den erwähnten Angriff auf die Korruptionsermittler abwehrte. Dafür gebührt ihr allergrößter Respekt. Dass sie sich trotz des täglichen, zermürbenden Russen-Terrors reifer zeigt als Teile ihrer Führung, macht ebenso Hoffnung wie die Hartnäckigkeit der Ermittler. Den Kreml-Freunden, die jetzt Lunte riechen, sei gesagt: In Putins – übrigens noch weit korrupterem – System wäre all das nicht denkbar.