Niedrige Rente heißt nicht immer Not

von Redaktion

Gundula Roßbach, Chefin der Rentenversicherung, warnt vor stärkerer Umverteilung unter Senioren

Berlin – Statt den Ruhestand entspannt zu genießen, müssen viele Senioren in Deutschland jeden Euro zweimal umdrehen. Fast jeder fünfte über 65-Jährige lebt laut Statistischem Bundesamt unterhalb der Armutsgrenze – deutlich mehr als der EU-Durchschnitt von 16,6 Prozent. Immer wieder wird deshalb gefordert, dass die gesetzliche Rentenkasse stärker umverteilen sollte.

So plädieren beispielsweise die Wirtschaftsweisen für eine progressive Rentenberechnung, bei der Gutverdiener einen Teil ihrer Rente an ärmere Senioren abgeben. Doch Gundula Roßbach, Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung (DRV), hält dies im bestehenden System für problematisch. Aus den Rentendaten allein gehe nämlich nicht hervor, wer wirklich bedürftig ist, erklärt Roßbach. Denn eine geringe Rente bedeute nicht automatisch ein niedriges Monatseinkommen.

In manchen Fällen ist sogar das Gegenteil der Fall: Vier Prozent der Paare in Deutschland beziehen eine gesetzliche Rente von weniger als 500 Euro und würden damit als armutsgefährdet gelten. Doch eine Auswertung der DRV zeigt, dass genau diese Gruppe mit 5300 Euro über ein überdurchschnittlich hohes monatliches Gesamteinkommen verfügt. Das liegt laut Roßbach daran, dass auch Selbstständige oder Beamte häufig einige Zeiten mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung aufweisen und oft zu Berufsbeginn Anwartschaften in der gesetzlichen Versicherung haben.

Durch eine pauschale Umverteilung könnte sich also die geringe gesetzliche Rente wohlhabender Freiberufler oder Beamter erhöhen. „Finanziert würde diese Aufstockung dagegen von allen Beitragszahlern der gesetzlichen Rentenversicherung, auch von denen mit geringen Einkommen“, sagt Roßbach.

„Ein Blick über den Tellerrand zeigt uns auch Beispiele von Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz oder der USA, die mehr Umverteilung im Alterssicherungssystem zulassen“, so die DRV-Präsidentin weiter. Dort seien jedoch „mehr oder weniger alle Erwerbstätigen“ im selben System versichert. Um eine faire Umverteilung zu gewährleisten, müsste in Deutschland also der Kreis der gesetzlich versicherten Personen deutlich ausgeweitet werden. „Solange wir in Deutschland ein fragmentiertes Alterssicherungssystem haben, ist Umverteilung im Steuersystem besser aufgehoben“, erklärt Roßbach.

Zudem sei es im deutschen Rentensystem aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze kaum möglich, „überproportional hohe Renten“ zu erhalten. Die monatlichen Beiträge haben einen Deckel ab einem Einkommen von 8050 Euro brutto. In idealtypischen Fällen ergibt sich daraus eine maximale Bruttorente von rund 3670 Euro – was aber selten ist. Der Anteil der Personen, die eine Bruttorente von mehr als 2400 Euro erhalten, liegt unter zehn Prozent. Der Spielraum für Umverteilung ist also begrenzt.

Deshalb plädiert Gundula Roßbach dafür, den Kampf gegen Altersarmut breiter aufzustellen: „Die Reduzierung von Altersarmut ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft und sollte nicht allein von den Beitragszahlern der gesetzlichen Rentenversicherung getragen werden.“SOPHIA BELLIVEAU

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