Parlamentarierin auf Zeit: Sandra Zeisel. © Künkler
Brüssel – Ein schwarzer Plastikstrohhalm. Sandra Zeisel zieht ihn in einem Konferenzsaal des Europäischen Parlaments aus ihrer Tasche. Sie hat ihn aus Bayern mit nach Brüssel gebracht, weil er für sie die ganze Problematik zwischen der EU und ihrer Bevölkerung symbolisiert. „Selbst bei dieser Kleinigkeit war der Widerstand riesengroß“, erinnert sie an die Einführung des EU-Verbots für Plastiktrinkhalme. „Dabei gäbe es so viele und größere Dinge, die wir verändern müssten.“
Was in Sachen Generationengerechtigkeit geändert werden muss, darüber haben am Wochenende 150 Menschen aus allen 27 Mitgliedsstaaten diskutiert. Keine Politiker, sondern Normalbürger. Die EU-Kommission will herausfinden, was die Menschen bewegt und hat dafür eine bunt zusammengewürfelte Truppe nach Brüssel geholt. 19 Deutsche wurden für den Bürgerrat ausgelost. Eine von ihnen ist Sandra Zeisel, 37, Jugendamtsmitarbeiterin und zweifache Mutter aus Kirchseeon (Landkreis Ebersberg).
Das Thema ist so breit, dass es an den Rändern kaum greifbar ist. Generationengerechtigkeit spielt im Prinzip in alle politischen Bereiche hinein, sagt Zeisel. Umwelt, Bildung, Wirtschaft, Gesundheit, Verteidigung. In multinationalen Gruppen haben sich die Teilnehmer beraten und am Ende zehn Empfehlungen verfasst. Steuern auf Alkohol und Zucker sind darunter, Schutzmaßnahmen vor Missbrauch der Künstlichen Intelligenz, eine stärkere Förderung grüner Energie oder Weiterbildungsprogramme für lebenslanges Lernen.
Wenn es gut läuft, bilden die Leitlinien die Grundlage für ein neues Strategiepapier für ein gerechteres Europa. Zumindest hat das der maltesische EU-Kommissar Glenn Micallef angekündigt. Wenn es weniger gut läuft, bleibt die Schublade. „Ich habe keine Hoffnung, dass wir wirklich die Agenda der Gesetzgeber ändern“, sagt Zeisel. Dafür seien die Thesen aber auch zu wenig handfest, meint Klaus Feldmann aus München. Alles „zu sehr vanilla“.
Vielleicht geht es gar nicht um konkrete Forderungen, sondern eher darum, die grundlegende Haltung der Bürger sichtbar zu machen. Immerhin werde man mal gefragt, lautet der Tenor. Das sonst weit entfernte Raumschiff Europa interessiert sich für einen. „Es fühlt sich an wie ein Lottogewinn“, sagt Heike aus Berlin.
Bürgerbeteiligung hat Konjunktur, auf europäischer Ebene wie auf kommunaler, in Kinderparlamenten oder Zukunftsräten. Der Gegner heißt Politikverdrossenheit.
Die 150 Bürger debattierten engagiert und ernsthaft bis in die Häppchen-Pausen. Sie erlebten, wie schwierig es ist, über 27 Staaten hinweg einen Konsens zu finden. Und wie ähnlich sich am Ende doch alle in ihrer Grundhaltung sind, von Litauen bis Portugal, Dänemark bis Italien.UTA KÜNKLER