Man muss nicht gläubig sein, um es zu spüren. Ein Mensch ist mehr als ein paar Kilo Fleisch und Knochen. Er ist mehr als bloß Träger einer biologischen Funktion. Und er ist auch mehr als nur der Wohnsitz eines denkfähigen Gehirns. Jeder, den beim Anblick der aufgehenden Sonne schon einmal das Gefühl der Majestät durchrieselt hat, weiß: Jetzt hat die Welt meine Seele berührt. Jeder, der schon mal mit vollem Ernst die Worte „Ich liebe Dich“ gesagt hat, weiß: Auch andere Menschen haben so etwas – eine Seele.
Genau das (die Tatsache, dass Menschen eine Seele haben) ist der Grund dafür, dass man sie anders behandeln darf und anders behandeln MUSS als Dinge oder Tiere. Deswegen ist ihre Würde unantastbar – so, wie es in Deutschland im Gesetz steht. Und deswegen müssen auch ganz eigene Maßstäbe gelten, wenn es um das Ende eines Menschenlebens geht.
Wenn ein Mensch sich aus freien Stücken, bei klarem Bewusstsein und nach langer Überlegung entscheidet, sein Leben zu beenden, dann ist das erstens nicht zu verhindern – und zweitens steht es Außenstehenden nicht zu, darüber zu urteilen. Wer zum Beispiel die Qualen einer Krankheit nicht selbst erlebt, kann auch nicht einschätzen, bis zu welchem Grad sie erträglich sind.
Wer deshalb aber einen offiziellen Rahmen für einen Suizid-Betrieb schaffen will, tut der Nächstenliebe keinen Dienst. Denn damit würde das Beenden eines Menschenlebens zu einem normalen Bestandteil der medizinischen Versorgung – und die Rechtmäßigkeit entschiede sich etwa anhand der Frage, ob die Zugehörigkeit zum Sterbehilfe-Verein lang genug gedauert hat.
Der Tod würde so zur technischen Angelegenheit. Und alte Menschen könnten unter Rechtfertigungsdruck geraten, warum sie eigentlich von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen. „Ist ja schließlich ganz normal. Steht ja schließlich im Gesetz.“ Nein, schon allein deshalb darf das nicht im Gesetz stehen. Das wäre eine Missachtung der Seele. Ulrich.Heichele@ovb.net