Gewalt in der Beziehung: Opfer sind meist weiblich. © KNA
Berlin – Unternimmt die Politik genug, um Frauen vor Gewalt zu schützen? Nach Einschätzung von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) lautet die Antwort klar: Nein. Gemeinsam mit Familienministerin Karin Prien (CDU) und BKA-Chef Holger Münch stellte er am Freitag in Berlin die neuen Bundeslagebilder zu häuslicher Gewalt und geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen vor. Die Zahlen zeigen eine dramatische Entwicklung.
2024 wurden in Deutschland demnach fast 266 000 Menschen Opfer häuslicher Gewalt – 10 000 mehr als im Jahr zuvor und ein neuer Höchststand. Besonders betroffen sind Frauen: In der Partnerschaftsgewalt, die den größten Anteil ausmacht, sind 80 Prozent der Opfer weiblich. Die Taten reichen von Bedrohung über Stalking und gefährliche Körperverletzung bis hin zu Mord. „Alles, was man sich unter Gewalt vorstellen kann“, so Dobrindt.
Doch selbst diese alarmierenden Zahlen zeigen nur einen Ausschnitt. Münch wies darauf hin, dass bei Partnerschaftsgewalt nicht einmal fünf Prozent der Taten angezeigt werden. Das Dunkelfeld sei „ein Vielfaches größer als das Hellfeld“. Die Gründe: Angst, Abhängigkeit oder Scham.
In den Lagebildern findet sich nur eine einzige Kategorie, in der die Gewalt zurückgeht: versuchte und vollendete Tötungsdelikte. Dennoch wurden letztes Jahr 308 Frauen und Mädchen getötet. Wie viele dieser Fälle als Femizide einzustufen sind, ist unklar – eine offizielle Definition fehlt. Münch kündigte an, das BKA wolle bis 2026 eine vorzulegen.
Da die Gesamtzahl der Gewalttaten ansteige, sei der Rückgang bei den Tötungsdelikten „kein Grund, sich zurückzulehnen“, erklärte Prien. Es brauche weitere Maßnahmen, auch im Bildungsbereich. Als Vorbild nannte sie Großbritannien, wo Beziehungsbildung Teil des Lehrplans ist. Ähnliche Konzepte sollen in Deutschland geprüft werden.
Die Regierung habe in anderen Bereichen bereits Maßnahmen auf den Weg gebracht, erklärte Dobrindt. So dürfen Täter künftig mit elektronischen Fußfesseln überwacht werden, während Opfer Warnsender erhalten und sich freier bewegen können. „Der Schutzraum darf nicht vom Täter bestimmt werden“, so Dobrindt. Für Frauen, deren Handys von gewalttätigen Partnern kontrolliert werden, finanziert der Bund die Tarn-App. Sie hilft, Übergriffe zu dokumentieren und beweissicher zu speichern.
Dobrindt verwies zudem darauf, dass 37 Prozent der Tatverdächtigen keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und damit „deutlich überrepräsentiert“ sind. Münch sprach von einem „patriarchalischen Frauenbild“. Prien betonte in diesem Zusammenhang: „Es wäre deutlich verkürzt, das Problem nur auf Zuwanderung zurückzuführen.“ Die Rückkehr zu traditionellen Rollenbildern sei eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. S. BELLIVEAU