Schicksalstage für die Ukraine

von Redaktion

Johannesburg – Der Ernst der Lage ist herauszuhören, als Friedrich Merz in Johannesburg beim G20-Gipfel vor die Kameras tritt. Kurz vorher hat der Kanzler mit den europäischen Staats- und Regierungschefs über die Friedensinitiative von Donald Trump beraten, den die USA vor wenigen Tagen vorgelegt hatten und der sowohl den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, als auch seine europäischen Verbündeten schockierte. Es sind quasi alle zusammengetrommelt, die die Ukraine in der entscheidenden Phase des Abwehrkampfes gegen Russland nicht im Stich lassen wollen.

Der Zeitdruck ist groß: Bis Donnerstag will Trump ein Ergebnis. Die erste Version des Friedensplans sieht unter anderem vor, dass die Ukraine auch bislang verteidigte Gebiete an Russland abtritt, ihre militärischen Fähigkeiten beschränkt und die Nato einen Verzicht auf Erweiterung erklärt. Das käme einer Kapitulation gleich.

Eilig wird ein Treffen in Genf einberufen: Für die USA ist Außenminister Marco Rubio dabei, für die Ukraine Präsidentenberater Andrij Jermak, und für Deutschland flog Kanzlerberater Günter Sautter direkt von Johannesburg in die Schweiz. Die Runde sollt ausloten, was auf der Grundlage des Plans machbar ist. Erste Ergebnisse werden bereits am Sonntagabend bekannt. Rubio kündigt an, dass nach Beratungen mit der Ukraine und ihren europäischen Unterstützern Änderungen in den Friedensplan der USA eingearbeitet werden.

Eine neue Fassung des Plans soll nun auch „wichtige Prioritäten“ Kiews enthalten. Man habe ein „sehr gutes Arbeitsergebnis erzielt, das auf den Beiträgen aller beteiligten Parteien“ basiere, sagte Rubio bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Verhandlungsführer Andrij Jermak. Nun sollen die Differenzen verringert und eine Lösung ausgearbeitet werden, mit der sowohl die Ukraine als auch die USA zufrieden wären. Er zeigte sich zuversichtlich, dass Trump am Ende sein Einverständnis für den neuen Plan geben werde.

Jermak sprach von einem „sehr produktiven“ ersten Treffen, bei dem gute Fortschritte erzielt worden seien. Man bewege sich auf einen gerechten und dauerhaften Frieden zu. Endgültige Entscheidungen werden seinen Angaben nach „unsere Präsidenten“ treffen. Er bedankte sich bei den USA und US-Präsident Donald Trump – der Kiew zuvor erneut mangelnde Dankbarkeit vorgeworfen hatte. Die Verhandlungen sollen am Abend weitergehen.

„Die aktuelle Fassung des Dokuments, die sich zwar noch in der Endphase des Genehmigungsprozesses befindet, spiegelt bereits die meisten der wichtigsten Prioritäten der Ukraine wider“, erklärte der Chef des ukrainischen Sicherheitsrats, Rustem Umerow, am Sonntag. Der ukrainische Wolodymyr Selenskyj schrieb in Onlinediensten, dass die „amerikanischen Vorschläge eine Reihe von Elementen enthalten könnten, die auf ukrainischen Perspektiven basieren und für die ukrainischen nationalen Interessen von entscheidender Bedeutung sind“.

Für die Europäer ist der Umgang mit dem amerikanischen Plan ein hochriskanter Drahtseilakt. Sie sehen das große Risiko, dass sich die Sicherheitslage für sie noch einmal verschlimmern könnte, sollten dem Aggressor Russland nun weitreichende Zugeständnisse gemacht werden. Zugleich sind viele Staats- und Regierungschefs zu Hause mit kriegsmüden Wählern konfrontiert, die die kostspielige Unterstützung für die Ukraine mehr und mehr infrage stellen.

Ein weiteres großes Problem für die Europäer ist, dass sie gegen US-Präsident Trump kaum Druckmittel in der Hand haben, wie einige Staatschefs zugaben. Einfach, weil dafür die militärischen Fähigkeiten fehlten. So gelten Flugabwehrsysteme vom Typ Patriot auf absehbare Zeit als unverzichtbar. Ähnliches gilt für die Geheimdienstinformationen und weitreichende Raketenwerfer.

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