Es gab keinen Aufschrei, eher ein irritiertes Stöhnen. Vor zwei Wochen setzte eine Mehrheit aus bürgerlichen, konservativen, liberalen, rechten und rechtspopulistischen Abgeordneten im EU-Parlament eine Lockerung des überbürokratischen Lieferkettengesetzes durch. Ja, ein Brandmauer-Bruch. Doch viel wichtiger ist der Befund: Weil sich große Teile der europäischen Sozialdemokraten, darunter die deutschen Abgeordneten, ideologisch gegen einen Kompromiss stemmten, setzten die Konservativen mit anderen Stimmen durch, was die Mehrheit auf dem Kontinent für vernünftig hält. Erreicht hat die SPD: nichts.
Der Fall zeigt: Die einst großen Volksparteien, in Deutschland SPD und Union, erreichen die Grenze mit ihrem strikten Brandmauer-Kurs, keinesfalls Mehrheiten mit AfD und Co. hinzunehmen. Das dämmert auch CDU/CSU. Es gibt Konstellationen in Parlamenten, in denen eine undurchdringbare Brandmauer bedeutet, dass SPD, Grüne und Linke die Union in Mehrheiten links der Mitte zwingen können. Glaubt jemand, das würde die AfD dann kleiner machen und ihre Wähler weniger zornig?
Die Demokraten müssen ihre Strategie fortentwickeln. Die AfD ist und bleibt auf Sicht keine normale Partei, sondern ein mit Radikalen durchsetzter Systemfeind – der unter anderem den gerichtlich anerkannten Faschisten Höcke in seinen Reihen duldet und feiert. Ja, AfD-Führungsleute müssen aus Repräsentativ- und Regierungsämtern ferngehalten werden. Es ist richtig, Inhalte ohne AfD zu entwickeln. Sich zu ihr zu öffnen, würde die Union in der Mitte zerreißen, also zerstören. Aber der Anspruch, für Sachpolitik nur reine Mehrheiten jenseits der AfD zu akzeptieren, notfalls mit BSW und Linken, wird zur Falle.
Auch die CSU wird das bald stärker spüren. Ihr Chef Söder grenzt sich mit Inbrunst von der AfD ab, weist auf fehlende Verfassungstreue und Putin-Kriecherei hin, Recht hat er damit – aber für den Umgang im Alltag haben die Christsozialen noch kein tragfähiges Konzept. Nach der Kommunalwahl im März wird in einigen Orten Bayerns die AfD zweitstärkste Kraft sein, rechnerisch sind CSU-AfD-Mehrheiten drin. Wie sie klug und sauber damit umgehen sollen, wissen selbst viele erfahrene Kommunalpolitiker noch nicht. Auch der CSU täte es gut, darüber viel gründlicher nachzudenken und zu beraten als bisher.CHRISTIAN.DEUTSCHLAENDER@OVB.NET