Während die Verhandlungen laufen, bombt Russland weiter. Hier steht ein Wohnhaus in der Stadt Saporischschja in Flammen. © Kateryna Klochko/dpa
München – Was bedeutet der US-Friedensplan für die Sicherheit Europas? Wir sprachen darüber mit dem Sicherheits-Experten Nico Lange, der von 2019 bis 2022 den Leitungsstab im Verteidigungsministerium leitete und in Russland, den USA und der Ukraine lebte.
Herr Lange, ist Donald Trumps 28-Punkte-Papier das Ende der Nato?
Zumindest war dieses Papier, bei dem ein Teil ja russischen Ursprungs ist, etwas, das Zweifel genährt hat an der Verlässlichkeit der USA. Letztlich bedeutet das: Die Europäer müssen für Frieden und Sicherheit in Europa selbst sorgen und sich nicht darauf verlassen, dass andere das machen. Das ist die eigentliche Zeitenwende.
Der US-Präsident scheint einen Frieden in der Ukraine regelrecht erzwingen zu wollen. Klappt das?
Das kommt drauf an, was man unter Frieden versteht. Trump scheint die Ukraine aus dem Weg räumen zu wollen, damit er wieder Geschäfte mit Russland machen kann – obwohl ich mich manchmal frage, was ist da schon an tollen Geschäften mit Russland zu holen? Trump will zudem auf Biegen und Brechen den Friedensnobelpreis bekommen. Aber nur Friedensplan draufzuschreiben, reicht nicht. Entscheidend ist, ob am Ende wirklich ein Waffenstillstand und Frieden herauskommt. Da braucht es noch eine ganze Menge Arbeit.
Aber wenn Trump nach einem Scheitern der Verhandlungen die Geduld mit der Ukraine verliert: Wäre Kiew ohne US-Unterstützung erledigt?
Wir können unsere außen- und sicherheitspolitischen Handlungen nicht ausschließlich von dem fragilen Ego von Donald Trump abhängig machen. Aber richtig ist: Bestimmte Satelliten-Aufklärungsfähigkeiten haben nur die Amerikaner. Wenn sie diese den Ukrainern tatsächlich nicht mehr zur Verfügung stellen, heißt das zwar nicht, dass Russland automatisch den Krieg gewinnt. Aber es würde höhere Verluste unter den Zivilisten geben, weil die Frühwarnsysteme entfallen, mit denen man sehen kann: Wann startet ein Marschflugkörper, wann gehen Bomber in die Luft.
Wie sehr schwächt der Korruptionsskandal Wolodymyr Selenskyj?
Dieser Korruptionsskandal ist ein riesiges Problem, auch weil einer der Beteiligten ein enger Vertrauter von Selenskyj war. Man muss annehmen, dass noch mehr Dinge ans Licht kommen. Alle, die die Ukraine finanziell unterstützen, müssen knallharte Kriterien in Anschlag bringen und möglicherweise externe Kontrollen einsetzen, um gegen die Korruption zu wirken. Da hat man in der ukrainischen Zivilgesellschaft Verbündete. Wenn Trump denkt, „Selenskyj hat einen Korruptionsskandal, jetzt muss er irgendwas unterschreiben“, macht er denselben Fehler, den Putin immer wieder gemacht hat: Er unterschätzt die ukrainische Gesellschaft.
Warum hat Selenskyj im August erlaubt, dass unter 22-jährige Männer die Ukraine verlassen dürfen, obwohl doch der Personalmangel eines der Hauptprobleme der Armee ist?
Es war ein Fehler. Selenskyjs Überlegung, die dahinterstand, war, dass viele Menschen mit 16 oder 17 Jahre alten Kindern das Land verlassen haben und dass auf dem Arbeitsmarkt in der Ukraine Not herrscht. Aber die Maßnahme hat die Absetzbewegung nicht gestoppt, sondern eher verstärkt. Über die Frage des Mobilisierungsalters, das derzeit bei 24 liegt, und die Rückholung im Ausland befindlicher Männer gibt es große Diskussionen in der Ukraine.
Lieber ein schlechter Friedensplan, aber ein Ende des Tötens, sagen viele…
Wenn man sagt, das soll aufhören, egal wie, dann bedeutet das: Auch unsere Sicherheitslage in Deutschland wird schlechter. Und die Migrationssituation wird schlechter, weil Millionen Ukrainer werden nicht unter der russischen Knute bleiben. Wir müssen erwachsen und nüchtern darangehen: Unser deutsches und europäisches Interesse ist, dass die Ukraine eine Zukunft hat und dass Russland davon abgeschreckt wird, andere Länder oder die Ukraine noch einmal zu überfallen.
Zeitenwende on tour
Nico Lange debattiert am Samstag, 29.11. (16 bis 18 Uhr), mit Siko-Vizechef Benedikt Franke und dem Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer in der Bayernhalle in Garmisch-Partenkirchen. Anmeldung: www.securityconference.org/zot.