München – Der Kirchenmann hat Lob und Dank dabei, zum Einstieg wenigstens. Kardinal Reinhard Marx dankt allen Politikern, die in diesen Zeiten noch die Kraft aufbringen für Kandidaturen. Es ist ein freundlicher Auftakt für eine schwierige Debatte: Denn der Kardinal und die Christlichsozialen haben bei ihrem ausführlichen Treffen am Mittwochnachmittag im Maximilianeum auch heikle Fragen zu besprechen.
Die frühere Einigkeit von CSU und Kirche gibt es so in Bayern als Automatismus ja schon lange nicht mehr. Bei Großthemen wie Migration oder sogar dem Kreuzerlass knirschte es vernehmlich. Im Februar erst legte CSU-Chef Markus Söder auf einem Parteitag den Kirchen nahe, sich mehr um ihre Themen und weniger um die aktuelle Politik zu kümmern. Er verband das mit dem nicht subtilen Hinweis auf Bayerns Finanzleistungen an die Kirchen.
Kardinal: Staat kann Sozialleistungen neu ordnen
Dort kam das nicht gut an. In einen weiteren offenen Konflikt mit der Regierungspartei lässt sich Marx am Mittwoch aber auch nicht drängen. Er weicht Fragen nach dem gestrichenen Familiengeld Bayerns vorsichtig aus. Der Sozialstaat sei „kein Spielfeld, auf dem man rangeht, wenn die Wirtschaft nicht gut läuft“, sagt der Kardinal. „Aber ordnen muss man es angesichts einer neuen wirtschaftlichen Lage.“ Ordnen, umordnen, so würde wohl auch Söder die Entscheidung definieren, das Familiengeld nicht mehr auszuzahlen, sondern direkt in die Betreuungseinrichtungen zu lenken.
Marx (72) betont zudem, Renten-, Pflege-, Gesundheits- und Arbeitslosenversicherung seien unverzichtbare Kernelemente eines Sozialstaates. Korrekturen hält er aber für möglich. Er nennt als Beispiel das Renteneintrittsalter. „Ist es menschenunwürdig zu sagen, vielleicht muss man ein Jahr länger arbeiten, oder zwei?“ Das gehe „nicht an die Grundsätze des Sozialstaates heran“.
Den spannendsten Teil seines Auftritts verschiebt er allerdings in den nichtöffentlichen, streckenweise sehr emotionalen Teil des Gesprächs mit der CSU-Fraktion unter Klaus Holetschek – so berichten es die Teilnehmer. Dort bezieht er erstmals seit dem assistierten Suizid der Kessler-Zwillinge klar Stellung. Marx fordert eine andere, strengere gesetzliche Grundlage. „Geschäfte machen mit Suiziden, das ist so nicht hinnehmbar“, zitieren ihn die Zuhörer. Es brauche neue Gesetze, um diesen Bereich klarer zu regeln. „Die rechtsfreie Situation beunruhigt uns sehr.“ Man müsse die Prävention verstärken. Es gebe das gemeinsame Ziel, es zu schaffen, dass Menschen schmerzfrei und nicht alleine sterben.
Den Kirchen sei der Lebensschutz sehr wichtig. Marx berichtet in der Aussprache mit Holetscheks Abgeordneten, er habe unlängst auch einen Menschen beerdigt nach assistiertem Suizid. Er kündigt ein eigenes Papier zur Frage an, wie man in kirchlichen Einrichtungen mit assistiertem Suizid umgehe. „Klar ist: In unseren kirchlichen Einrichtungen hat niemand Zutritt, der damit Geschäfte machen will.“ Eine Aufgabe der Kirchen sei auch, Gemeinschaft anzubieten, und damit den Suizid-Wunsch massiv zu senken. CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER