Merz bittet um Geduld

von Redaktion

Volles Programm: Kanzler Friedrich Merz (CDU) mit seinem Vize Lars Klingbeil (l., SPD) im Bundestag. © Kay Nietfeld/dpa

Berlin/München – Es ist der Morgen des 204. Tages, den Friedrich Merz im Amt ist. Der Bundeskanzler steht am Rednerpult des Bundestags und versucht einmal mehr, den Graben zuzuschütten. Den Graben zwischen der öffentlichen Wahrnehmung, die diese Koalition aus Union und SPD als einen Haufen von Streithanseln einordnet, die sich auf nichts einigen können. Und die Selbstwahrnehmung der Koalitionäre, die gerade mal ein halbes Jahr im Amt sind, erst langsam ihre Ministerien wirklich kennenlernen und Gesetz um Gesetz auf den Weg bringen.

Die Haushaltswoche im Bundestag ist traditionell die Woche der großen Redeschlachten. Das Budget jedes Ministeriums wird durchdiskutiert. Und damit auch die jeweilige Politik. Beim Kanzleretat geht es dann um die großen Linien. Und Merz denkt wirklich groß. Der wirtschaftliche Reformstau, die Bürokratie, die Frage von Krieg und Frieden in Europa. Die Herausforderungen sind riesig. „Wir stehen erst am Anfang der Reformen, die unser Land so dringend benötigt“, sagt Merz. Die „Reformerwartungen“ seien „zum Teil größer, als wir sie im Augenblick erfüllen“. Aber er breche nichts übers Knie. Und mit Blick auf die AfD fügt er noch hinzu: „Hochkomplexe Sachverhalte erfordern komplexe Antworten und nicht unterkomplexe Redensarten, wie wir sie heute Morgen hier gehört haben.“

Der Kanzler sortiert seine Baustellen – und sie sind wirklich gigantisch. Natürlich geht es um Krieg und Frieden. Er berichtet von seinem Telefonat mit Donald Trump. „Über europäische Angelegenheiten kann nur im Einvernehmen mit Europa entschieden werden“, stellt er klar. Der erste Vorschlag sei nicht zustimmungsfähig gewesen. „Wir wollen keine Friedhofsruhe. Wir wollen keinen Frieden durch Kapitulation.“ Eigentlich sei alles ganz einfach: „Der Krieg könnte morgen enden, wenn Russland seinen völkerrechtswidrigen Angriff beendet und seine Truppen zurückzieht!“ Alle Fraktionen klatschen. Nur bei der AfD rührt sich keine Hand.

Doch eigentlich geht es Merz an diesem Morgen nicht um Außenpolitik. Es spricht: der Reform-Kanzler. Er sagt es nicht, aber unterschwellig schwingt mit, wie wenig in all den Merkel-Jahren und wie viel Falsches in den Scholz-Jahren passiert ist. Stattdessen sagt Merz: „Wir haben darauf mit einem ersten Wachstumsimpuls reagiert.“ Unternehmenssteuern gesenkt, Abschreibungsmöglichkeiten verbessert, der Industriestrompreis soll kommen, die Kraftwerkstrategie auch. Mit ihr können im nächsten Jahr Gaskraftwerke ausgeschrieben werden. Er spricht über die Abschaffung des Bürgergelds, die großen Fortschritte beim Thema Migration und den Bürokratieabbau, den er radikal voranbringen will. „Das alles findet große internationale Aufmerksamkeit.“ Und dann wäre da noch die Hightech-Agenda. „Wir sind auf dem Weg zu modernsten Technologien in Deutschland. Und wir lassen uns davon auch nicht abbringen durch kleinteiliges Gemäkel am Straßenrand.“

Da ist er wieder, der Kanzler, den das alles manchmal tierisch zu nerven scheint. Auch der Widerstand gegen das Rentenpaket. Merz ist eigentlich schon einen Schritt weiter. Beim folgenden großen Wurf für den Sozialstaat. „Das Einsetzen von Kommissionen ist für uns keine Strategie der Politikvermeidung“, stellt er klar. Im Gegenteil: Man wolle Entscheidungen treffen, die anders als früher für Jahre und Jahrzehnte Bestand haben könnten. Interessant: Auch die Fraktionschefs Jens Spahn (CDU) und Matthias Miersch (SPD) äußern sich später beim Thema Rente ähnlich. Er sei überzeugt, dass „wir tatsächlich in dieser Großen Koalition Großes bewirken und dieses Rentensystem auf zukunftssichere Füße stellen“, sagt Miersch.

Merz denkt ähnlich. Und er versucht wieder und wieder, es zu erklären. Aber auch er weiß: Zuversicht kann man nicht verordnen. „Wir können als Politik nur vorangehen.“

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