Die Angst vor einem neuen Iran-Krieg

von Redaktion

Nur eine Attrappe ist diese Rakete auf einer Anti-US-Demo in Teheran. © EPA

Tel Aviv – Ende Oktober, der Krieg war knapp vier Monate vorüber, prahlte der Ajatollah schon wieder mit Teherans angeblicher Stärke. Donald Trump habe ja „stolz“ erklärt, Irans Nuklearindustrie bombardiert und zerstört zu haben, ließ Ali Khamenei auf seiner Website verlauten und höhnte: „Träum‘ weiter!“

Was die Mullahs behaupten, ist selten wahr. Aber die Frage, wie weit die Luftschläge der USA und Israels im Juni das iranische Atomprogramm geschwächt haben, ist nicht geklärt – selbst in Washington ist man uneins. Anders als der US-Präsident glaubt das Pentagon nicht, dass das Programm „ausgelöscht“ ist. Es sei allenfalls um ein oder zwei Jahre zurückgeworfen, heißt es. Die US-Geheimdienste gehen nur von einigen Monaten aus.

Für Israel ist die Antwort existenziell. Das Mullah-Regime träumt seit Jahrzehnten davon, das Land zu vernichten, und stand Mitte des Jahres offenbar kurz vor der Entwicklung einer ersten Atomwaffe. Im Juni kam es zur direkten Konfrontation. Israel flog Angriffe auf iranische Militär- und Atomanlagen, die USA stiegen mit ein. „Die gute Nachricht ist, dass Iran heute nicht länger ein nukleares Schwellenland ist“, sagt Raz Zimmt. „Die schlechte ist: Die Motivation, Nuklearwaffen zu bauen, ist jetzt höher als vor dem Zwölf-Tage-Krieg.“

Zimmt ist einer der angesehensten Iran-Kenner in Israel. Zwei Jahrzehnte lang beobachtete er das Mullah-Regime für die israelische Armee, heute forscht er am Nationalen Institut für Sicherheitsstudien (INSS). An einem Abend Mitte November empfängt er in einem Vortragsraum mitten in Tel Aviv, es gibt Wasser und Kaffee, Zimmt kommt gleich zur Sache. Besorgt sei er, sehr besorgt, über die aktuelle Situation zwischen Israel und Iran. Der Status quo sei „nicht stabil“.

Auch wenn Teheran anderes behauptet: Die Angriffe haben die Mullahs empfindlich getroffen. Nicht nur wegen der Schäden an drei zentralen Atomanlagen, in denen das Regime Uran offenbar bis zur Waffenfähigkeit anreichern ließ. Sondern auch, weil seine Strategie in Rauch aufging. Teheran züchtete Milizen wie die Hisbollah im Libanon und die Huthis im Jemen nicht nur heran, um Israel zu terrorisieren, sondern auch, um es vom direkten Angriff auf den Iran abzuhalten. „Die ganze Idee, Israel durch die Proxies abzuschrecken, ist gescheitert“, sagt Zimmt. Selbst der vergleichsweise gemäßigte iranische Präsident Massud Peseschkian sehe das so.

Noch hat das dem Experten zufolge zu keinem Strategiewechsel in Teheran geführt. Aber ein geschwächter Iran, der mit dem Rücken zur Wand steht und sich alleine fühlt, könnte mittelfristig noch bedrohlicher für Israel sein. Das Regime habe immer noch die Fähigkeit, sein Atomprogramm wieder aufzubauen, sagt Zimmt. Israel wäre dann gezwungen, zu reagieren. „Wenn es keine echte Lösung gibt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es wieder einen Konflikt gibt. Mein Gefühl: Der nächste Krieg wird deutlich größer sein als der letzte.“

Einen Ausweg böte wohl nur ein neuer Deal mit Iran, zu dem auch US-Präsident Donald Trump bereit wäre – doch die Voraussetzungen dafür sind denkbar schlecht. Khamenei schließt Gespräche trotzig aus, auch mit Verweis auf die Angriffe im Juni, die nur zwei Tage vor geplanten Nuklear-Verhandlungen mit den USA begannen. Hinzu kommt, dass das Land seit September auch wieder mit UN-Sanktionen belegt ist, die seit Inkrafttreten des Atomdeals von 2015 ausgesetzt waren. Die Gegenseite breche alle Versprechen, behauptet Khamenei. „Mit so jemandem können wir nicht verhandeln.“

Die eleganteste Lösung wäre ein Regimewechsel in Teheran. Doch der ist mit den Angriffen im Juni wieder unwahrscheinlicher geworden. „Es braucht internationalen Druck, um Iran zur Aufgabe seines Atomprogramms zu zwingen“, sagt Raz Zimmt. Vorerst wäre es schon ein Erfolg, wenn das Land internationale Atom-Kontrolleure wieder hinein ließe. Doch auf israelischer Seite ist das Misstrauen maximal groß. „Iran darf nie wieder die Fähigkeiten haben, die es vor dem Zwölf-Tage-Krieg hatte“, sagt Zimmt. Sonst ist ein neuer Konflikt programmiert.

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