Eine Siegesfaust: Außenminister Johann Wadephul (li.) steht seinem Bundeskanzler Friedrich Merz bei. Die Union hat die Zitterpartie überstanden. © Nietfeld/dpa
München – Andreas Audretsch läuft schon rot an, weil er sich so in Rage redet. Die Wut des Grünen-Politikers entzündet sich aber nicht an der schwarz-roten Regierung, die das Renten-Paket auf die Beine gestellt hat, sondern an der Linken. „Sie hatten Revolution versprochen“, ruft Audretsch der Linksfraktion zu. „Sie enden hier heute als Mehrheitsbeschafferinnen von Friedrich Merz.“ Audretsch liefert sich ein Schreiduell mit Fraktionschefin Heidi Reichinnek, die immer wieder dazwischenruft. Es wird so hitzig, dass Bundestagsvizepräsident Omid Nouripour (Grüne) sogar auf die maximale Lautstärke von 100 Dezibel im Bundestag verweist. Zum Abschluss wirft Audretsch der Linken gleich noch „Ambitionslosigkeit“ vor. „Sie haben nicht gekämpft, sie haben nicht eine Sekunde verhandelt.“
Was den Grünen-Politiker so erzürnt ist, dass die Linke mit ihrer angekündigten Enthaltung bei der Renten-Abstimmung praktisch eine sichere Zustimmung ermöglicht. Und dies, ohne sonderlich begeistert von den schwarz-roten Plänen zu sein und ohne etwas dafür zu fordern. Denn auch die Grünen haben der neuen Regierung einst eine Mehrheit beschafft – bei der Lockerung der Schuldenbremse. Allerdings hat ihr Ja 100 Milliarden Euro gekostet, die als Gegenleistung in den Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft fließen sollten.
Dass sich die Opposition so hart angeht, zeigt: Es ist viel Druck auf dem Kessel. Es geht bei der lang ersehnten Abstimmung um mehr als nur das Renten-Paket. Es geht um parteipolitische Grundsätze, die Zukunft der Sozialpolitik und für die Unionsspitze fast schon ums politische Überleben.
Nach der verpatzten Richterwahl und wochenlangen Debatten, bei denen sich sogar Renten-Rebellen in der Union formierten, muss die Fraktion als Einheit auftreten. Ist es Fraktionschef Jens Spahn diesmal gelungen, seine Leute auf Kurs zu bringen? Stehen CDU und CSU geschlossen hinter Kanzler Friedrich Merz? Um mögliche Abweichler identifizieren zu können, haben Union und SPD eine namentliche Abstimmung erwirkt. Als um Punkt 13.02 Uhr die Wahlurnen schließen, herrscht Anspannung.
Erst 20 Minuten später verkündet der mittlerweile eingewechselte Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow (Linke) das Ergebnis: 319 Ja-Stimmen, 225 Nein-Stimmen, 53 Enthaltungen. „Ich denke, Sie haben alle die Steine, die von manchen Herzen geplumpst sind, gehört“, fasst Ramelow zusammen. Später korrigiert der Bundestag zwar die Ja-Stimmen auf 318, dennoch hat Merz damit die absolute Mehrheit, die sogenannte Kanzler-Mehrheit sicher – selbst ohne die Enthaltung der Linken. Ein Vertrauensbeweis für Merz. Regierungskrise abgewendet. Sogar die jungen Rebellen in der Union konnten Merz und Spahn offenbar bändigen. Nur sieben Unions-Abgeordnete stimmen gegen das Rentengesetz. Brisant: Einer davon, der Karlsruher Nicolas Zippelius (38), ist gar nicht Mitglied der Jungen Gruppe. Zwei der Jungen enthalten sich, der Rest stimmt brav zu.
Als Zeichen der zumindest etwas ausgestreckten Hand setzt die Union Pascal Reddig, den Vorsitzenden der Jungen Gruppe auf die Liste zur Aussprache vorab – als vorletzten Redner. Dabei kündigt Reddig bereits an, gegen das Paket zu stimmen, da es „gegen meine fundamentalen Überzeugungen, gegen alles, wofür ich Politik gemacht habe, gegen Generationengerechtigkeit“ gehe. „Mangelnde Reformfähigkeit gefährdet am Ende auch die politische Handlungsfähigkeit des Landes – das kann und wird nicht länger gut gehen“, warnt der 30-Jährige.
Davon will Merz aber nichts wissen. Bei einem kurzen Statement nach der geglückten Abstimmung verspricht er leicht außer Atem „eine umfassende Rentenreform“ für nächstes Jahr. Dafür soll die Rentenkommission Vorschläge erarbeiten. Der Sozialstaat müsse auch in Zukunft „finanzierbar, leistungsstark und generationengerecht“ sein. Und die Debatte sei „notwendig“ und „auch richtig“ gewesen. „Das ist nicht das Ende unserer Rentenpolitik, sondern erst der Anfang“, erklärt er, bevor er ein schönes zweites Adventswochenende wünscht. Für Merz selbst gibt es kein Durchatmen. Er reist in den Nahen Osten – den nächsten Krisenherd.