Politik ist manchmal eine optische Täuschung. Es gibt eine oberflächliche Wahrnehmung: Pressekonferenzen, Interviews, Redeschlachten im Parlament, Podcasts und X-Posts. Newsjunkies können dem Betrieb inzwischen 24/7 folgen – und verpassen doch einen ganz wesentlichen Teil der Entwicklungen. Denn geführt wird im Verborgenen. Und Führung ist nach den Wochen des Rentenstreits das entscheidende Thema dieser Regierung. Zu offensichtlich ist das Führungsproblem von Friedrich Merz.
Trotz aller technischen Entwicklungen bleibt auch 2025 das Telefon das wichtigste Instrument, wenn es darum geht, ein Land zu regieren. Man muss Mehrheiten organisieren, Kritiker einbinden, Egos streicheln, Kompromisse schmieden. Gerade in Volksparteien mit starken Parteiflügeln. Schon Helmut Kohl galt als legendärer Netzwerker, der auch beim letzten CDU-Kreisvorsitzenden noch gelegentlich durchklingelte. Angela Merkel schrieb gerne SMS. Schon immer gilt: Wenn der Kanzler an Grenzen stößt, springen Mitarbeiter ein. Bei Gerhard Schröder organisierte Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier unbemerkt von der Öffentlichkeit die Agenda-Politik, Fraktionschef Franz Müntefering beschaffte die Mehrheiten – mit Zuckerbrot und Peitsche. Auch in der SPD gab es damals Abweichler.
Merz dagegen offenbart hier schon länger Schwächen. CDU-Chef wurde er erst im dritten Anlauf, auch bei der Kanzlerwahl fiel er zunächst durch. Später gab es Ärger um die Richterwahl, den Stopp von Waffenlieferungen nach Israel und jetzt eben die Rente. Nicht immer, aber oft hätte eine intensivere Beziehungspflege das Frühwarnsystem verbessert und Ärger verhindert. Und wenn Merz selbst keine Zeit hat angesichts eines fast unmenschlichen Programms – nach der Abstimmung am Freitag reiste er erst nach Belgien, später nach Jordanien und Israel, heute ist er erst in London, dann in Niederkassel bei der ARD-Arena –, dann braucht er eben ein besseres Team um sich. Nicht nur der Kanzler ist neu im Regierungsgeschäft, auch viele seiner Vertrauten.
Die zweite Reihe – Kanzleramtschef, Fraktionsvorsitzender, Generalsekretär – müssen über Weihnachten ihre Arbeit neu organisieren. Sonst droht bald der nächste Ärger. Denn in der Sozialpolitik stehen die großen Reformen erst an.