Noch ein Jahr danach wirkt der Sturz des syrischen Ex-Diktators Bashar al-Assad irreal: Was in 14 Jahren Bürgerkrieg nicht gelang, schaffte eine Rebellenoffensive unter Führung der islamistischen HTS in weniger als zwei Wochen. Assad, mit dessen von hunderttausenden Leichen gepflastertem Sieg sich die Welt abgefunden hatte, war plötzlich weg. Seither lebt er im Moskauer Exil, bei Blutsbruder Putin.
Ebenso erstaunlich ist die angebliche Wandlung des neuen Machthabers Ahmed al-Scharaa – vor einem Jahr noch ein international gesuchter Terrorist, inzwischen Gast im Weißen Haus und bei Gipfeln weltweit. In seinem zerstörten Land scheint es Hoffnung zu geben, al-Scharaa gibt sich moderat, pragmatisch. Dabei ist längst nicht sicher, ob in Syrien nicht einfach ein autoritäres System ein anderes ersetzt hat.
Während die internationale Gemeinschaft das Problem scheinbar abgehakt hat, steht die neue Regierung vor einer Reihe von Problemen. Die Spannungen mit den Kurden im Nordosten sind ernst. Islamisten treiben weiter ihr Unwesen, begehen grausame Massaker an alten Rivalen und religiösen Minderheiten: Alawiten, Drusen. Die Scharia ist heute Hauptquelle der Rechtsprechung. All das sollte man in den reflexhaften Rückkehrer-Debatten nicht vergessen.
Eine stabile Zukunft ist möglich, aber Syrien nach Assad braucht Hilfe, lenkendes Wohlwollen: Sanktionen sollten ganz abgebaut, private Investoren ermutigt, die Regierung eingebunden werden. Dann muss al-Scharaa beweisen, dass er das kleinere Übel ist.