Russische Gelder: Zwischen Risiko und Zeitdruck

von Redaktion

Berlin – Seit beinahe vier Jahren verteidigt sich die Ukraine gegen Russland in einem zermürbenden Krieg, der das Land nicht nur militärisch und humanitär, sondern auch finanziell schwer belastet. Die EU hat sich vorgenommen, die Finanzierung der Ukraine-Hilfe für die kommenden zwei Jahre bis zum EU-Gipfel nächste Woche zu klären. Die Nutzung der in Europa eingefrorenen russischen Vermögen für ein sogenanntes Reparationsdarlehen für Kiew hat dabei viele Unterstützer – aber auch entscheidende Gegner.

Kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 fror Brüssel die Vermögenswerte der russischen Zentralbank in der EU ein. Moskau konnte somit nicht mehr auf dieses Geld zugreifen. Nach EU-Angaben handelt es sich um rund 200 Milliarden Euro, von denen inzwischen ein großer Teil als Barguthaben verfügbar ist. Der größte Batzen dieses Geldes wird von der Clearing-Gesellschaft Euroclear in Brüssel gehalten.

Im Mai 2024 beschlossen die Mitgliedstaaten, dass die durch die Vermögenswerte gewonnenen Zinsen zur Unterstützung der Ukraine verwendet werden dürfen. Bis August 2025 wurden hieraus 4,7 Milliarden Euro an die Ukraine weitergegeben. Zudem wurden in Erwartung weiterer Gewinne Kredite in Milliardenhöhe gewährt.

Das Problem: Gegen die Beschlagnahmung der Vermögen einer ausländischen Zentralbank gibt es zum einen juristische Bedenken, ob dies nicht gegen das Völkerrecht verstoßen würde. Zum anderen geht es um das Vertrauen in den Finanzstandort Europa und den Euro als Reservewährung. Investoren aus anderen Ländern könnten aus Furcht um ihr Geld aus EU-Ländern abziehen.

Doch die Dauer des Krieges und der eigene Haushaltsdruck haben bei vielen EU-Ländern die Bereitschaft für eine kreativere Verwendung der russischen Vermögenswerte erhöht, darunter auch Deutschland. Zudem glaubt die EU-Kommission, mit dem Darlehen eine Art rechtliches Hintertürchen gefunden zu haben.

Die Kommission betont immer wieder, dass das russische Geld nicht beschlagnahmt werden soll. Stattdessen will die EU sich zunächst rund 90 Milliarden Euro als zinslosen Kredit von Euroclear leihen und dieses Geld dann als Darlehen an die Ukraine weitergeben.

Die Ukraine müsste die Kredite nur zurückzahlen, wenn sie von Russland Reparationszahlungen erhalten hat. Russland würde das Geld zurückerhalten, sobald der Krieg beendet ist und Moskau Reparationen an die Ukraine gezahlt hat. Die EU-Mitgliedstaaten müssten nur dann für das Geld aufkommen, wenn sie die Sanktionen gegen Russland aufheben, ohne dass Moskau Reparationen gezahlt hat.

Vergangene Woche veröffentlichte die Kommission einen detaillierteren Plan zur Nutzung der Vermögen, in dem sie eine „dreistufige Verteidigung“ versprach, mit der es „kein Szenario“ gebe, in dem die betreffenden Finanzinstitutionen wie Euroclear das geliehene Geld nicht zurückerhalten würden.

Doch ein solcher Schritt ist in der jüngeren europäischen Geschichte beispiellos, die Konsequenzen nur schwer absehbar. Länder außerhalb der EU könnten argumentieren, dass es sich faktisch um eine Enteignung Russlands handelt.

Artikel 1 von 11