Wundern und Wundenlecken

von Redaktion

„Unter Freunden“: Friedrich Merz, mit geschenktem Hut, auf der CSU-Parteitagsbühne bei Markus Söder. © Sven Hoppe/dpa

München – Am Morgen danach wacht die CSU mit einem dicken Kater auf, so fühlt es sich für viele an. Was war da gestern? Was haben wir gemacht? Wer? Wieso eigentlich? Den 700 Delegierten am Morgen in der Parteitagshalle stehen diese Fragen ins Gesicht geschrieben. Und wie nach einem wirklich wilden Abend sieht man sie in Grüppchen im Versuch, Erinnerungen zusammenzutragen. Meist vergeblich.

Es war kein wildes Fest, keine Ekstase, eher ein kurzer Ausbruch von Ehrlichkeit am Vorabend: Mit nur 83,6 Prozent bei seiner Wiederwahl haben die Delegierten ihrem Parteichef einen dicken Dämpfer verpasst. 104 Nein-Stimmen sind bei diesem Ergebnis eingerechnet, noch nicht mal gezählt sind neun Enthaltungen, drei Dutzend nicht abgegebene Zettel und 80 nicht erschienene Stimmberechtigte.

Die mehrheitliche Diagnose: Es war keine geplante Intrige, keine regionale Attacke, kein Generationenkonflikt. Die Junge Union, rund 170 Delegierte, schwört Stein und Bein, bei allen Besprechungen brav zu Söders Wiederwahl aufgerufen zu haben – trotz Schuldenorgie im Bund und Mütterrenten-Streit. Die Oberbayern unter Ilse Aigner beteuern, „wir waren klar sortiert“, gar schriftlich sei der Aufruf an die Delegierten ergangen, für Söder zu stimmen.

Am Ende lautet die Deutung: Viele Einzelstimmen seien es gewesen, Unzufriedenheiten über Söders fleischlastige Social-Media-Strategie, Themenwahl, fehlende Tiefe, Kürzungen in Bayern. Aigner selbst rät zu Gelassenheit: „Ach mei, ich würd‘s nicht überinterpretieren.“ Doch spätestens beim Zeitunglesen ist dem Parteitag klar: Das Signal an Söder war schon sehr wuchtig, mancherorts setzen gar mediale Abgesänge ein. Söder selbst bemüht sich, das Thema kleinzureden. Auf der gemütlich holzgetäfelten Bühne geht er am Parteitags-Samstag nicht mehr aufs Resultat ein. Auf den Fluren sagt er nur was von „zwei, drei Gegenstimmen hin oder her“.

Was ihm zupass kommt: Der Hauptgast des Parteitags erwähnt die Abstimmung gar nicht erst. Friedrich Merz, der Kanzler, weiß ja selbst aus zweimaliger Erfahrung, wie sich eine krachende, sogar noch schlimmere Ohrfeige von Parteifreunden anfühlt. Merz gratuliert nur über das Netzwerk X, postet dort ein gemeinsames Foto, auf dem der CSU-Chef sogar zwei Zentimeter größer aussieht, ein für Söder stets wichtiges Detail. In München dann sagt er nichts über die Prozente, sondern beschwört die Einigkeit von CDU und CSU. „Ich fühle mich hier mit zuhause“, sagt er, und Söder ruft ihm zu: „Du bist bei Freunden.“

Die Kanzlerrede ist eher getragen, ruhig, weltpolitisch, kommt aber bei den mucksmäuschenstillen Delegierten gut an. Es ist eine Erinnerung an die Prioritäten. „Wir werden eines Tages nicht danach gefragt, ob wir die Haltelinie in der deutschen Rentenversicherung für ein Jahr weniger oder ein Jahr länger gehalten haben“, sagt Merz. Aber man werde in einigen Jahren die heutigen Politiker fragen, ob sie genug getan hätten, um Freiheit und Frieden zu retten. Anders gesagt: Verheddert euch nicht in Kleinkram, liebe Freunde. Über das schwierige Verhältnis zu den USA sagt er: „Donald Trump ist nicht über Nacht gekommen. Kann sehr gut sein, dass es mit dem Nachfolger noch schwieriger wird.“

Die Schwesterpartei bittet er indirekt um Geduld mit Berlin, mit seiner Koalition. „Ich bin fest davon überzeugt: Wir werden es auch mit diesen Sozialdemokraten hier – wir mit denen und die mit uns – hinbekommen.“ Man habe die feste Absicht, zu zeigen, dass man in der politischen Mitte des Landes Probleme lösen könne. Merz‘ Rede endet eher leise, früh, doch die Delegierten beklatschen ihn lang und stehend. Es wirkt nicht wie jener Heuchelbeifall, den Armin Laschet 2021 erhielt, sondern wie wirkliche Sympathie.

„Ernste Rede, ernste Zeiten“, lobt Söder nachher. „Es ist nicht die Herausforderung, besonders lustig zu sein.“ Kaum hat er das gesagt, gerät er schon in Versuchung, doch wieder zu witzeln. Als Redner-Geschenk überreicht er Merz auf der Bühne einen bayerischen Trachtenhut mit Strauß-Sticker. Merz allerdings hält Kurs: Er dankt höflich, dreht den Hut in den Händen. Aber setzt ihn, so lustig die Bilder auch wären, nicht vor den Kameras auf.

Bei den Vorstandswahlen der CSU setzen die Delegierten derweil auf Konstanz. Unter anderem wurden die Rosenheimer Daniela Ludwig (Staatssekretärin im Bund) und Daniel Artmann (Landtag) mit hohen Ergebnissen wieder in die CSU-Spitze gewählt.

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