Klare Forderungen an die Politik: Irmgard Stippler, Vorstandvorsitzende der AOK Bayern, beim Besuch in unseren Redaktionsräumen. © Oliver Bodmer/Oliver Bodmer
München – Mit über 4,5 Millionen Versicherten ist die AOK Bayern eine der größten Krankenkassen Deutschlands. Im Interview sagt Vorstandschefin Irmgard Stippler, welche Reformen das kränkelnde Gesundheitssystem ihrer Meinung nach braucht – und wie viel Zeit die Bundesregierung hat.
Frau Stippler, wie geht es der AOK Bayern?
Die finanzielle Situation ist gerade für alle Krankenkassen angespannt. Für uns kann ich sagen: Der Vorstand wird dem Verwaltungsrat vorschlagen, den Zusatzbeitrag 2026 konstant bei 2,69 Prozentpunkten stabil zu halten. Das können wir auch deshalb, weil wir Rücklagen und das Bundesdarlehen zur Stabilisierung einsetzen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dringend eine Finanzstabilisierung braucht. Die Zukunft der Kranken- und Pflegeversicherung kann nicht immer wieder nur durch neue Darlehen des Bundes gesichert werden. Wenn wir die Gesundheitsversorgung stabil halten wollen, muss es zudem auch Strukturreformen geben.
Wo liegen die Probleme?
Auf der Finanzseite sehen wir seit Jahren ein ungebremstes Ausgabenwachstum, das die Entwicklung der Einnahmen abgehängt hat. Da entstehen immer neue Lücken, die zu Beitragserhöhungen führen. Wir fordern deshalb eine an den Einnahmen orientierte Ausgabenpolitik. Zudem braucht es endlich einen fairen Lastenausgleich mit Blick auf die öffentlichen Aufgaben, die wir übernehmen, wenn wir etwa die Versorgung für Bürgergeldempfänger finanzieren. Weil wir dafür vom Bund nicht vollumfänglich entschädigt werden, müssen gesetzlich Krankenversicherte dafür jedes Jahr rund zehn Milliarden Euro aufbringen. Wäre das nicht so, müssten wir gerade auch nicht über Beitragserhöhungen diskutieren. Aber das ist nur der eine Teil.
Und der andere?
Wir müssen unsere Gesundheitsversorgung modernisieren und mit Blick auf die Alterung der Gesellschaft zukunftsfest machen. Die Menschen werden immer älter, gleichzeitig gehen bald viele in den Ruhestand, die gerade noch in der Pflege, als Ärzte oder an anderer Stelle im Gesundheitswesen arbeiten. Deshalb brauchen wir jetzt die überfälligen Strukturreformen: mehr Prävention, eine funktionierende Krankenhausreform, eine Neuordnung der Notfallversorgung, eine zukunftsfeste Pflege – und eine Primärversorgung, die Patientinnen und Patienten verlässlich durch das System führt.
Wenn ich erst zum Hausarzt muss, bevor ich mit einem schmerzenden Bein zum Orthopäden kann, spart das doch kein Geld.
Es geht nicht immer nur ums Sparen, sondern auch um Verlässlichkeit in der Versorgung: bessere Steuerung, klare Zuständigkeiten und eine Versorgung, die auch dann funktioniert, wenn es künftig weniger Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte gibt.
Sie drängen die Bundesregierung zu Veränderungen. Viel ist bisher aber noch nicht passiert, oder?
Was notwendig ist, habe ich skizziert. Im Moment warten wir noch auf die nötigen Reformen, die schnell auf den Weg gebracht werden müssen. Und diese dürfen dann auch nicht verwässert werden. Alle müssen jetzt so schnell wie möglich die Ärmel hochkrempeln und die nötigen Veränderungen anpacken. Ich glaube, dass 2026 ein ganz entscheidendes Jahr wird. Spätestens dann muss die Politik liefern.
Hendrik Streeck (CDU) hat eine Debatte über die Vergabe teurer Medikamente an Hochbetagte angestoßen.
Eine aktuelle repräsentative Umfrage der Kassen zeigt: Die Menschen stehen zum Solidarprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Jungen stehen für die Alten, die Gesunden für die Kranken, Starke für Schwächere ein. Daran wollen wir nicht rütteln. Zugleich müssen wir angesichts unserer demografischen Entwicklung offen darüber nachdenken, wie wir die Versorgung sichern, damit sie bedarfsgerecht, bezahlbar und in ausreichender Qualität erhalten bleibt. Welche Leistung Menschen konkret erhalten, ist immer vom medizinischen und pflegerischen Bedarf abhängig, nicht vom Alter oder Status. Wir sind gegen eine Zwei-Klassen-Medizin.