Wird Merz der „Pilot Europas“?

von Redaktion

Er will Europa den Weg zeigen: Friedrich Merz versucht, eine Führungsrolle zu übernehmen. © Michael Kappeler/dpa

München – Es ist die letzte Sitzungswoche des Jahres, nächste Woche ist Weihnachten. Aber als Friedrich Merz gestern Nachmittag vor den Bundestag tritt, ist von Besinnlichkeit nichts zu spüren. Der Kanzler blickt zurück auf ein schwieriges Jahr und voraus auf einen noch schwierigeren EU-Gipfel. Die alte Weltordnung entwickle sich zunehmend zu einer „Weltunordnung“ – was auch daran liege, dass sich enge Verbündete auf sich selbst zurückzögen. Er meint die USA. Das sei eine „sehr beunruhigende globale Entwicklung“. Aber: Er sei „fest entschlossen, dass Deutschland nicht zum Opfer, nicht zum Objekt dieser Prozesse“ werden dürfe. Und: „Wir sind kein Spielball von Großmächten.“

Keine Frage: Der Kanzler will der starke Mann Europas sein. Nicht herrisch und autoritär, wie Donald Trump. Sondern als Primus inter Pares. Als einer, der alle mitnimmt.

Es ist ein aberwitziges Tempo, das Merz dazu an den Tag legen muss. Das ganze Wochenende Verhandlungen zur Ukraine. Gestern Vormittag dann mal eben schnell im Kabinett das Bürgergeld beerdigen und die Renten-Kommission einsetzen. Zwei Megathemen. Eigentlich. Nachmittags erst Befragung im Bundestag, später Regierungserklärung. Abends schließlich der Gipfel mit den Westbalkan-Ländern in Brüssel und ein Treffen mit Emmanuel Macron. Thema: das gemeinsame Kampfjet-Projekt FCAS.

Und heute schließlich der EU-Gipfel. Die Liste der Streitthemen ist lang. Neben Frankreich sträubt sich nun auch Italien gegen das wirtschaftlich so wichtige Mercosur-Abkommen. Und dann wäre da noch die Frage nach den russischen Milliarden, die der Kanzler gerne für die Ukraine verwenden würde. Im Bundestag verdeutlicht Merz noch einmal, wie wichtig ihm diese Frage ist.

An all jene, die ihm gerne Kriegstreiberei vorwerfen, sagt der Kanzler: „Mehr Diplomatie als in den letzten Tagen und Stunden hier von Berlin aus geht nicht mehr.“ Aber Putin habe sogar die Forderung abgelehnt, über Weihnachten die Waffen schweigen zu lassen. „Diese Antwort ist an Zynismus und Brutalität nicht mehr zu überbieten!“ Es gehe Putin keineswegs nur um die Ukraine, er verfolge generell imperialistische Ziele. „Schon jetzt überzieht Russland uns mit hybriden Angriffen – jeden Tag!“

Man müsse den Preis für Moskau hochtreiben. Auch, indem man das eingefrorene Geld verwende. „Diese Mittel könnten die ukrainischen Truppen zwei weitere Jahre finanzieren“, rechnet Merz vor. Doch wichtig ist ihm: Es gehe ihm damit nicht um eine Verlängerung des Krieges, sondern um seine Beendigung. Doch bislang stellen sich vor allem die Belgier quer, weshalb Merz bereits vergangene Woche eigens nach Brüssel flog. Vergebens. Beim Gipfel nimmt er nun einen neuen Anlauf.

Kann er Europa einen? Die internationale Presse widmet Merz derzeit eine Menge Aufmerksamkeit. Die „New York Times“ saß mit im Regierungsflieger und sprach mit ihm über sein Hobby, das Fliegen. „In seinen sieben Monaten im Amt hat sich Herr Merz als derjenige erwiesen, den man in Europa (…) am ehesten als politischen Piloten bezeichnen kann“, lautete das Urteil der liberalen Zeitung. Und die konservative „Neue Zürcher Zeitung“ urteilte sogar: „Merz wird zum wichtigen europäischen Gegenspieler Putins“ – er habe „kaum eine Wahl“.

Dagegen beschreibt „Foreign Policy“ unter der Überschrift „Deutschland liebt es, Friedrich Merz zu hassen“, wie die Berliner Blase den Kanzler schon vor langer Zeit abgeschrieben habe. Dazu passt der jüngste Insa-Beliebtheitscheck der 20 wichtigsten Politiker, bei dem Merz noch hinter Linken oder AfDlern auf dem vorletzten Platz landet (nur Jens Spahn ist noch unbeliebter). Dabei schlage sich der Kanzler weitaus besser, als die meisten denken, lautet die Bilanz von „Foreign Policy“. Das Problem sei eher das Land selbst: „Die meisten Deutschen scheinen sich geradezu darin zu sonnen, über die Probleme ihres Landes zu klagen.“

Dieser Blick von außen ist interessant. Merz mache es gar nicht so schlecht, aber die Deutschen nehmen es anders wahr. Wie kann das sein? „Wir haben den Hebel vielleicht nach dem Wahlkampf nicht schnell genug umgelegt und nicht genug erklärt“, hat der Kanzler am Dienstagabend im ZDF gesagt. Die Kommunikation sei nicht gut genug gewesen. „Das machen wir nächstes Jahr besser.“

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