Weihnachten bei den Stoibers

von Redaktion

Der vielleicht berühmteste Frühstückstisch der Nation, wo Angela Merkel einst auf die Kanzlerkandidatur verzichtete: Edmund und Karin Stoiber mit den Redakteuren Georg Anastasiadis und Mike Schier. © Sabine Hermsdorf-hiss

Wolfratshausen – „Ich komme gleich“, schallt es aus dem Keller. Dort unten in der Wolfratshauser Doppelhaushälfte hat „Dr. Stoiber“, wie es am Gartentor steht, sein Büro. Und während Karin, die äußerst aufmerksame Gastgeberin, für die Gäste den Cappuccino macht, kommt Edmund schließlich die Treppe hoch. „Ich habe einfach zu viel Arbeit“, sagt er entschuldigend.

Es ist also alles wie immer im Hause Stoiber. Die Bayern kennen die beiden gar nicht anders: Hier der Politiker, der noch schnell eine Akte fertig lesen muss, ehe er ausführlich darüber doziert. Dort die Ehefrau, die die Familie zusammen und ihm den Rücken freihält – und in praktischen Lebensfragen und sozialen Dingen politisch berät. Edmund ist inzwischen 84 Jahre alt, Karin 82. Seit 57 Jahren sind sie verheiratet.

Es ist ruhiger geworden um die beiden. Es gehe ihnen gut, sagt Karin, „altersgemäß“. Vor vier Jahren, zum 80. Geburtstag, hat Edmund sein Büro in München aufgelöst, inzwischen geht er auch nicht mehr in Talkshows, obwohl weiter Einladungen kommen. Aktiv ist er trotzdem. Beim geliebten FC Bayern, im CSU-Vorstand, bei ProSiebenSat.1. Und auch für unsere Zeitung nimmt sich das Ehepaar kurz vor Weihnachten Zeit. Mit deren Lektüre beginnt noch immer jeder Tag. Sie streiten, wer zuerst den Sportteil bekommt, diskutieren über die Kommentare. Dann kommen die anderen Zeitungen, alles auf Papier. Er liest mehr, sie dafür aufmerksamer.

Besuche im Hause Stoiber sind auch immer Geschichtsstunden. Manchmal geht es thematisch etwas durcheinander. Eben noch spricht Edmund über die drei Kinder und neun Enkel (die jüngste erst zwei Jahre alt, der älteste 26). Und darüber, dass das Paar Heiligabend heuer bei der ältesten Tochter Constanze in München verbringt. Doch dann berichtet Edmund plötzlich, wie er früher am Nachmittag des 24. Dezember immer zu Franz Josef Strauß gefahren sei, damit der nach dem Tod seiner Frau Marianne nicht so alleine war. Und plötzlich folgt die Anekdote von Heiligabend 1987, als der russische Botschafter Strauß unerwartet Gorbatschows Einladung in den Kreml für den 27. Dezember überbrachte. Der Weihnachtsabend endete dann mit einer spontanen Sondersitzung in der Staatskanzlei.

„Sie sitzen auf dem Stuhl von Frau Merkel“

Die Jüngeren kennen das nur noch aus den Geschichtsbüchern. Stoiber als rechte Hand des legendären Strauß. Ab 1988 als Innenminister unter Max Streibl und von 1993 bis 2007 selbst als Ministerpräsident. Wir sitzen an jenem Tisch, an dem das in die Geschichtsbücher eingegangene Wolfratshauser Frühstück stattfand, bei dem Angela Merkel Stoiber 2002 die Kanzlerkandidatur überließ. „Sie sitzen auf dem Stuhl von Frau Merkel“, sagt Karin zum Journalisten. Nur gibt es statt Frühstück Plätzchen.

Neulich wurde in der CSU wieder viel über Stoiber gesprochen. Es ging um sein Erbe, den ausgeglichenen Haushalt, den er vor einem Vierteljahrhundert gegen heftige Widerstände durchgesetzt hatte. Markus Söder, Stoibers Ziehsohn, war stark versucht, die harte Linie aufzugeben – entschied sich dann aber dagegen. Hat er vorher angerufen und um Rat gefragt? Nein, sagt Stoiber. „Er wusste ja, wie ich darüber denke.“ Aber Stoiber ist sich sicher: „Für Bayern war es die richtige Entscheidung, am ausgeglichenen Haushalt festzuhalten.“

Weihnachten. Die Stoibers erinnern sich noch gut an die Nachkriegsjahre. „Wir hatten nichts“, sagt Karin, die mit ihrer Familie aus dem Sudetenland vertrieben worden war. Mit der Währungsreform 1948 wurde es besser, sagt Edmund. Doch das Weihnachtsessen im Hause Stoiber blieb einfach. Wiener Würstchen mit Kartoffelsalat. Später brachte Karin die Sauren Zipfel ins Menü ein. Die essen heute sogar die Enkel gern. Man erfährt viel bei diesem Gespräch: dass Stoiber einst Kettenraucher war. Und warum die Beziehung mit seiner Karin so prima funktioniert. „Sie kann sehr gut zuhören.“

Das Gespräch wogt hin und her zwischen Familie und Politik. Ohne geht es bei den Stoibers nicht. Früher, als die Kinder noch daheim wohnten, gab es an diesem Tisch viele Debatten zwischen den selbstbewussten Töchtern und dem eher traditionellen Vater. Karin war immer eng an seiner Seite, tippte auch seine Doktorarbeit. „Auf einer Reiseschreibmaschine“, schmunzelt sie. Jahrzehnte her. „Aber ich hab‘ sie immer noch.“

Auch Friedrich Merz saß schon an diesem Tisch. Stoiber kennt den Kanzler schon ewig, war einer der ersten, der die Rückkehr des Blackrock-Managers in die Politik forcierte. Noch heute telefonieren sie alle zwei, drei Wochen. Die große Verschuldung zu Beginn der neuen Regierung hat Stoiber geschmerzt. Inzwischen fällt sein Urteil positiver aus. „Friedrich Merz steht vor außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen, wie sie kein Kanzler seit Konrad Adenauer hatte“, sagt Stoiber. Damals Westbindung und Wiederbewaffnung. Heute muss sich Europa erneut neu aufstellen, politisch und militärisch.

„Hier hat sich Merz zu einem echten Leader und Antreiber entwickelt“, findet Stoiber. Dass die Ukraine mit 90 Milliarden Euro in den nächsten zwei Jahren von der EU unterstützt werde, sei ihm zu verdanken. „Die mediale Kritik an dem Ergebnis und vor allem an Friedrich Merz persönlich finde ich kleinkariert und angesichts der bisherigen Uneinigkeit der EU und der leider wachsenden Bedeutungslosigkeit Europas nicht nachvollziehbar.“

Nötig wird das alles wegen Putin, den Stoiber einst gut kannte. Seit vielen Jahren gibt es keinen Kontakt mehr. Es bleiben Erinnerungen, etwa an 2007. Am Vorabend von Putins harscher Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz bot der Wladimir dem Edmund das Du an. Nach der Rede, die heute viele als eine Art kalte Kriegserklärung an den Westen sehen, begleitete der Bayer den Russen zum Flughafen. Und er erinnert sich gut! Putin habe gefragt: „War ich zu scharf?“ Und Stoiber antwortete: „Ja.“

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