Die mutlosen Reformideen der Pflegekommission wurden hinreichend kritisiert. Nun hat der Chef der Gesetzlichen Krankenversicherung noch einmal nachgelegt. Er habe „den Eindruck, die Brisanz der Lage ist immer noch nicht allen Beteiligten klar“, sagt Oliver Blatt. Möglich, dass er Recht hat. Noch besorgniserregender ist aber der wachsende Verdacht, dass es auch andersherum sein könnte. Dass den tonangebenden Politikern in Bund und Ländern nämlich durchaus klar ist, welche Reformen das Land bräuchte – sie sie ihren Wählern aber nicht zumuten wollen.
Wer zwischendurch hineinhörte in besagte Pflegekommission, den kann das Ergebnis nicht sonderlich überrascht haben. Schon Wochen vor Bekanntgabe deutete sich an, dass da nicht am großen Wurf gebastelt wird, sondern eher am verzweifelten Versuch, den Arbeitsauftrag irgendwie zu erfüllen, ohne zugeben zu müssen, dass man sich eigentlich auf nichts Gewichtiges einigen kann. Das passt ins Bild vom angekündigten schwarz-roten Herbststurm der Reformen, der dann als laues Lüftchen am Land vorbeistreifte – natürlich nur verschoben auf 2026. Doch, dass im kommenden Jahr neben Kommunalwahlen in Bayern, Hessen und Niedersachsen auch noch fünf Landtagswahlen stattfinden, von denen bei zweien schon jetzt die Zeichen auf einen AfD-Triumph stehen, dürfte beherzte Erneuerung nicht wahrscheinlicher machen. Stattdessen scheint vielfach die blinde Hoffnung vorzuherrschen, dass doch endlich der teuer erkaufte, aber noch nirgends absehbare wirtschaftliche Aufschwung einkehren möge, um die Politik von der Zumutung solch schwieriger Entscheidungen zu erlösen.
Von der „letzten Patrone der Demokratie“ hat CSU-Chef Markus Söder mit Blick auf das Berliner Bündnis gesprochen. Er teilt die Sorge, der Schuss könnte bei zu forschen Sozialeinschnitten zum Querschläger geraten. Gerade bei der Rente eint SPD und CSU große Vorsicht. Politisch nachvollziehbar. Auch wenn sich die Deutschen in Umfragen offen für Erneuerung zeigen, kippt die Stimmung leicht, wenn es einen selbst betrifft. Doch angesichts der vollmundigen Reformversprechen, die Kanzler und Koalition abgegeben haben, könnte die Enttäuschung über zu langes Zaudern am Ende noch schwerer wiegen.SEBASTIAN.HORSCH@OVB.NET